Sikh: Gastfreundliche Gemeinschaft
Mitten in Langenthal steht seit 2001 ein Gurdwara, der heilige Tempel der Sikhs. Weiss scheint er im Kontrast zum düsteren Industrieviertel und lädt förmlich zu einem Besuch ein. Der Sikhismus als fünfgrösste Religion ist in der Schweiz vielen nicht bekannt. Wir haben uns auf den Weg gemacht, diese aufregende Religionsgemeinschaft zu besuchen.
Von Lea Djeneba Roskamp, Cyril Gränicher und Finn Stäuble
Unser Besuch im Gurdwara
Als wir das erste Mal den Gurdwara in Langenthal sehen, sind wir etwas erstaunt. Denn auf dem Foto im Internet ist er viel prachtvoller dargestellt: Ein strahlendweisser vierstöckiger Tempelbau, den ein mit Fresken verzierter Kuppelbau krönt. Die ausladenden Balkons sind mit hübschen Türmchen geziert und an der Frontwand lädt ein strahlendgoldenes, kranzförmiges Sikh-Symbol zur Besichtigung ein. Dass nun die Farbe teilweise von den Fassaden abblättert, das Gebäude direkt an einem Zuggleis steht und provisorisch mit einem Gerüst umgeben ist, vergessen wir schnell, als man uns durch die gläsernen Eingangstüren hereinwinkt. Sofort fühlen wir uns willkommen, und so beginnt unser schöner Besuch im Gurdwara.
Wir werden durch Karam Singh persönlich empfangen, mit ihm haben wir uns für ein Interview verabredet. Er führt uns, nachdem wir unsere Schuhe und Socken ausgezogen haben, zur Garderobe beim Eingang. Kaum haben wir unsere Hände und Füsse gewaschen und unser Kopftuch befestigt, werden wir schon in den Esssaal geführt, der mit einer offenen Küche verbunden ist. Die Atmosphäre ist geprägt durch warme Farben und den herzlichen Umgang, den die Menschen aller Generationen nicht nur mit uns, sondern auch untereinander pflegen. In der Küche, die rund um die Uhr betrieben wird, stehen etwa fünf Leute und kochen gemeinsam für Gäste und für die Sikh-Mitglieder, die sich an diesem Tag im Gurdwara aufhalten. Doch was hat es mit dem Essen auf sich und wie ist es mit dem Gurdwara verbunden?
«Hier im Gurdwara ist es besonders wichtig, dass die Mahlzeiten ohne Fleisch, Fisch oder Eier gekocht werden. Dies tun wir, um die Reinheit zu bewahren. Die Lebensmittel werden vor der Zubereitung in den Gebetsraum gebracht, um sie zu segnen und so zu reinigen», erklärt uns Karam. Die Mahlzeiten werden für alle Besucher zur Verfügung gestellt. Jeder darf nehmen und essen, es ist ein schönes Bild. Einerseits sieht es so aus, als hätten alle grossen Spass und andererseits gehen sie sehr freundlich miteinander um. Man spürt ein richtiges Gemeinschaftsgefühl unter den Leuten. Ausserdem ist es sehr schön anzusehen, wie alle sich um die Kinder kümmern.
Im Gurdwara isst man auf einem Teppich am Boden und mit den Händen. Als wir uns hinsetzen, bringt man uns sofort das Essen. Es wird uns mit einer solchen Selbstverständlichkeit überreicht, dass wir uns sofort als Teil der Gemeinschaft fühlen. Es ist nur sehr schade, dass fast niemand Deutsch oder Englisch versteht. Trotzdem fühlen wir uns sehr gut aufgehoben. Karam Singh fragt uns mehrmals, ob wir alkoholische Getränke dabei hätten. Schliesslich ist es streng verboten, Alkohol in den Gurdwara zu bringen, geschweige dann vor Ort zu konsumieren. Karam Singh nimmt sich sehr viel Zeit für uns. Man merkt richtig, dass es ihm Spass macht, uns alles zu zeigen und unsere Fragen zu beantworten. Ebenfalls werden wir in den Gebetszahl geführt, der im ersten Stock liegt. Am hinteren Ende in der Mitte des Gebetssaals steht ein Schrein, ein Mann singt eine Art Hymne aus einem Buch. Wenn man den Saal betritt, befindet sich ein schmaler langer Teppich in der Mitte des Raums. Auf diesem Teppich geht man bis zum Schrein, bevor man sich dann vor dem Schrein verbeugt. Es ist ein sehr schöner Raum, aufwendig verziert und doch irgendwie schlicht.
Doch was ist Sikhismus überhaupt?
Der Sikhismus wurde im 15. Jahrhundert vom ersten Guru Nanak Dev gegründet. Er wuchs im heutigen Pakistan auf, eine Region, die zu dieser Zeit vom Hinduismus und vom Islam geprägt war. Guru Nanak Dev machte eine grosse Reise und soll dabei die wichtigsten hinduistischen Tempel und islamischen Moscheen besucht haben. Er war sich sicher, vor Gott sind alle Menschen gleich, egal ob Hindu oder Muslim. Deshalb gründete er eine neue Religion, den Sikhismus. Auf Guru Nanak Dev folgten weitere zehn Gurus. Der letzte von ihnen liess ein Buch aus den gesamten Aussagen, Hymnen und Gebeten der Gurus machen. Dieses Buch heisst Sri Guru Granth Sahib. Diese 1708 fertiggestellte heilige Schrift der Sikhs wird als letzter Guru verehrt.
Der Sikhismus ist eine monotheistische Religion, man glaubt an einen höchsten intersexuellen Gott. Sikhs glauben, dass vor Gott alle gleich sind, egal ob Frau, Mann, reich, arm, Muslim oder Hindu. Deshalb wird das indische Kastensystem abgelehnt, sowie jede Religion, die von sich behauptet sie sei die einzig richtige. Männer und Frauen sind zumindest in der Religion gleichberechtigt. Das Ziel ist es, dem Kreislauf der Wiedergeburt zu entkommen, um so seine Seele eins werden zu lassen mit Gott. Dazu muss man dem Weg der Gurus folgen.
Sikhs in einer Glaubensgemeinschaft tragen die fünf Ks:
- Kesh (ungeschnittenes Haar): Respekt für Gottes Schöpfung.
- Kangha (Holzkamm): Symbol für Reinheit und Disziplin.
- Kirpan (Dolch): Zeichen für den Schutz von Schwächeren.
- Kara (eiserner Armreif): Verbindung zu Gott und Symbol für gerechtes Handeln.
- Kachera (Unterhose): Zeichen ehelicher Treue und Kontrolle.
Der Goldene Tempel von Amritsar gilt als Zentrum des Sikhismus. Doch durch mehrere systematische Verfolgungen in der Geschichte wurden viele Menschen zur Flucht gezwungen. So gibt es heute nicht nur in der Ursprungsregion Nordindien und Pakistan viele Sikhs, sondern überall auf der Welt. Mit über 25 Millionen Anhänger*innen gilt der Sikhismus als fünftgrösste Religionsgruppe der Welt.
Warum gibt es einen Gurdwara in Langenthal?
Auch in der Schweiz gibt es viele Sikhs, so dass mit der Zeit ein Wunsch nach einem eigenen Gurdwara entstand. Langenthal hatte Land zu verkaufen und so kam es zur Grundsteinlegung am 10. Januar 2001 im Industriequartier von Langenthal. Die Steinlegung wurde vom örtlichen Stadtpräsidenten Hansruedi Käser, der später auch Regierungsrat wurde, besucht. Viele weitere bedeutsame Personen nahmen an dieser Zeremonie teil und ehrten somit den Gurdwara. Auch die Zeitung "20 Minuten" berichtete über dieses grosse Ereignis. Am 26. September 2006 war die Eröffnung, an der erneut viele Menschen teilnahmen.
Karam Singh eine gute Seele als Vorbild für die Sikhs
«Der Punkt ist: Wir Sikhs sehen alle Religionen als gleichwertig, man muss es aber auch so verstehen.»
Karam Singh
Während unseres Aufenthaltes im Gurdwara führen wir ein Interview mit Karam Singh. Karam ist einer der Ältesten im Gurdwara und wird sehr hoch geachtet von allen Mitgliedern. Er erzählt uns viel über den Gurdwara und macht uns mit der Sikh-Kultur vertraut. Schon zu Beginn ist Karam sehr offen und nimmt uns herzlich auf. Durch die Fragen lernen wir die Mitglieder und ihre Motivation besser kennen. Während des ganzen Gespräches kommen immer mehr Mitglieder der Gemeinschaft an, begrüssen Karam wie ein altes Familienmitglied mit viel Respekt. Karam besteht darauf, dass die Ankommenden auch uns grüssten, was uns positiv überrascht. Während des gesamten Interviews betont Karam, dass es für die Sikh wichtig sei, dass alle Menschen gleich sind, egal welche Religion sie haben.
«Die Sikh sollen ihre Mitmenschen schützen in Situationen, in denen sie gefährdet sind. Sie sollen aber anderen Menschen keinen Schmerz zufügen.»
Karam Singh
Würden alle Menschen nach diesem Prinzip leben, wären viele Lebenssituationen friedlicher und besser, dies ist die Botschaft, die uns Singh versucht mitzugeben. Weshalb fallen uns die Sikh aber so auf, wenn wir sie auf der Strasse sehen, auch wenn wir sie nicht immer als diese identifizieren können? Als Sikh sollte man die fünf Ks befolgen, sagt Singh auf unsere Frage. Im Prinzip geht es um die Ehrung der Religion durch die Zeichen, die alltäglich getragen werden. Wir finden diese Zeichen in vielen anderen Kulturen und Religionsgemeinschaften, zum Beispiel das Kopftuch im Islam, das Kreuz im Christentum oder das Bindi im Hinduismus.
Unsere Meinung
Die Offenheit und der Respekt der Sikhs haben uns tief beeindruckt. Trotz anfänglicher Unsicherheiten und Sprachbarrieren fühlten wir uns wie ein Teil ihrer Gemeinschaft. Leider erleben Sikhs weltweit immer wieder Diskriminierung und Gewalt, oft aufgrund von Missverständnissen über ihren Turban. Dass solche friedliche Menschen Opfer von Hass werden, ist schwer zu verstehen. Der Besuch im Gurdwara hat uns gezeigt, wie bereichernd interkultureller Austausch sein kann. Wir nehmen eine wichtige Botschaft mit: Alle Menschen sind gleich und Respekt füreinander sollte im Mittelpunkt stehen.
«Wir Sikhs haben nicht das Ziel, die Menschen in unsere Religion zu ziehen. Der Gurdwara ist offen für alle. Du kommst als Christ, Muslim, Atheist oder als Angehöriger jeglicher anderen Religion herein und behältst diese auch beim Herausgehen.»
Karam Singh
Kontakt
Gurdwara Sahib
Dennliweg 31A
4900 Langenthal
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https://gurdwarasahib.com
Höre zum ersten mal von so einer Religion. Sehr Lehrreiches Portrait. Ich frage mich wie viele Menschen in dieser Gemeinschaft angemeldet sind.
Durch euer Porträt konnte ich neue Erkenntnise erlangen. Unter anderem, dass es eine Religion namens "Sikhismus" gibt und sie aus zwei der grossen Religionen herausfliesst. Mir gefällt an eurem Porträt, dass ihr am Ende noch eure eigene Meinung äussert und viele Informationen aufzeigt.
Mir der Portrait sehr gut gefallen. Ich finde es noch spannend, dass das Kastensystem abgelehnt wird. Ich wusste das nicht.
Ich finde es spannend, das man ein Buch sozusagen stellvertretend als den letzten Guru verehrt, das wusste ich vorher noch nicht, besser gesagt, das habe ich vorher noch nie so gehört.
Sehr spannend ich hatte noch nie etwas von dieser Religionsgemeinschaft gehört. Ich finde, ihr beschreibt sehr gut die Stimmung, die in dieser Religionsgemeinschaft herrscht. Wie habt ihr von dieser Religion erfahren?
Ich finde den Schreibstil passend. So kann man sich die Situationen sehr gut vorstellen und sich hineinversetzen.
Mir gefällt das Portrait sehr gut! Ich finde es extrem spannend zu hören was ihr dort erlebt habt.
Ich fand euer Portrait sehr schön und genau geschrieben. Es ist toll, dass euch die Mitglieder der Religionsgemeinschaft mit so offenen Armen empfangen haben.
Mich beeindruckt besonders die Betonung auf Gastfreundschaft und das Prinzip der Gleichheit unter allen Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft oder Religion.
Ich fand das Portrait sehr spannend, besonders hat mich fasziniert, wie sie mit dem Buch umgehen und dieses sogar ins Bett bringen.
Ich finde ihr beschreibt die Religionsgemeinschaft sehr schön und finde das mit dem Buch sehr spannend:))
Ich kannte diese Religion vorher noch nicht. Ich finde ihr habt das Erlebte sehr interessant und verständlich beschrieben und ich finde es schön, wie offen die Gemeinschaft ist.