Alevitischer Abend

Bild: Rona Karagök

Von Rona Karagök

Bericht

An einem Samstagabend anfangs Dezember habe ich gemeinsam mit meinen Eltern an einem Abend in den alevitischen Räumlichkeiten im Haus der Religionen, der Dergâh, teilgenommen. Es handelte sich dabei um einen Benefizanlass für den Förderverein Alevitische Kultur, an dem zu «gemütlichem Zusammensein bei Speise, Trank und Musik» eingeladen wurde.

Gegen 18.00 Uhr erreichen wir das Haus der Religionen, wo wir dem Geruch von Essen und vereinzelten Schildern eine Treppe hoch bis in die Dergâh folgen, aus der bereits fröhliche Stimmen dringen. Wir betreten die Räumlichkeiten und hängen unsere Jacken an eine Garderobe, als alte Bekannte meiner Eltern uns herzlich begrüssen. Im Raum verteilt befinden sich viele runde Tische, an denen Leute verschiedenen Alters sitzen und in Gespräche auf Kurdisch, Türkisch und Deutsch vertieft sind. Kinder spielen im ganzen Raum miteinander und rennen zwischen den Tischen umher. An einer Wand des Raumes befindet sich ein Buffet mit Meze, verschiedenen Vorspeisen wie Salaten und Börek. Im Hintergrund läuft leise Musik.

Bild: Rona Karagök

Wir holen mit der Hilfe einiger Anwesenden einen zusätzlichen Tisch aus der Küche, setzen uns und unterhalten uns für einige Zeit mit verschiedenen Leuten. Dann kündigt eine Frau ein kleines Chörli an, das aus vier Kindern besteht. Sie singen zusammen zwei kurdische Lieder vor, bei denen viele der Zuhörer*innen mitklatschen oder -singen. Danach begrüsst dieselbe Frau alle Anwesenden – ebenfalls dreisprachig, auf Kurdisch, Türkisch und Deutsch – und sagt, dass jetzt aufgrund der sinkenden Temperaturen und kürzer werdenden Tage die perfekte Zeit für solche Zusammenkünfte sei. Weiter kündigt sie an, dass gleich das Essen aufgetischt werde, dessen Einnahmen dem Förderverein zugute kämen. 

Wir reihen uns in die Schlage ein, die sich schnell vor dem Buffet bildet, an dem nun auch Reis und Kuru Fasulye, ein Bohneneintopf mit und ohne Fleisch, serviert werden. Wir bezahlen, füllen unsere Teller und setzen uns wieder an den Tisch, wo wir das Essen und etwas später auch Desserts und Çay geniessen. Währenddessen setzen sich drei Frauen mit einer Saz in die Mitte des Raumes und beginnen, bekannte kurdische und türkische Lieder zu singen und spielen, bei denen die Zuhörer*innen ebenfalls mitsingen. Auch wenn deren Aufmerksamkeit teilweise schwindet und die Gespräche ab und zu lauter werden, lassen sich die drei Frauen davon nicht irritieren und nehmen auch gerne Liederwünsche entgegen. Die Kinder spielen derweil in einem nebenan liegenden Raum unter sich. 

Als die Musik aufhört, werden die Gespräche wieder aufgenommen und während die ersten Leute langsam aufbrechen, bilden sich immer wieder neue Grüppchen, die sich über die Arbeit, die Schule und das Leben austauschen.

Reflexion

Über meinen Vater, der in einer alevitischen Familie aufgewachsen ist, habe ich einen persönlichen Bezug zum Alevitentum. Dieser ist jedoch nicht sehr stark, da das Alevitentum bei uns zuhause nicht präsent ist und ich dementsprechend nur bei Besuchen der Familie in der Türkei damit in Kontakt komme. Ich hatte also keine grosse Ahnung, was mich an diesem Abend erwartet, der mir schlussendlich durch den Einblick in eine alevitische Gemeinschaft auch einen Einblick in die Kultur und Religion meiner Grosseltern erlaubt hat. Dies war für mich eine sehr wertvolle Erfahrung.

Anlässe wie dieser wirken für mich auf den ersten Blick nicht typisch religiös. Ich bin mir jedoch bewusst geworden, dass das Zusammenkommen, sich über das Leben austauschen, das gemeinsame Essen und Singen zentrale Bestandteile des Alevitentums sind. Ich finde dies sehr schön, denn wie in der Begrüssung gesagt wurde, ist es gerade in den kalten und dunklen Wintermonaten sehr wichtig, Gesellschaft zu finden, neue Kontakte zu knüpfen und Abende wie diesen mit Freund*innen zu verbringen. Ich merke, dass es auch mir gut getan hat, neue Leute kennenzulernen und einen Abend in einem eher ungewohnten Kontext zu verbringen.

Ich fühlte mich während des ganzen Anlasses sehr wohl. Dies führe ich unter Anderem darauf zurück, dass es offensichtlich war, wie wichtig Werte wie eine hohe Zugänglichkeit, Offenheit, Freundlichkeit und Akzeptanz den Anwesenden sind. So war auch die Gesamtatmosphäre stark von diesen Werten geprägt, die sich beispielsweise durch die dreisprachige Einladung und Begrüssung und die vielfältigen vegetarischen und veganen Essensoptionen äusserten.

Auch wenn ich mich nicht als Alevitin bezeichne und durch meine kurzen Haare und Piercings etwas aus der Menge herausstach, fühlte ich mich sehr willkommen und wohl in dieser Gemeinschaft. 

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