Ein Tag in der Jodenbuurt

Bild: Yael Hartenbach

Von Yael Hartenbach

Die diesjährigen Frühlingsferien verbrachten meine Mutter und ich in Amsterdam. Unser Hotel war in der Nähe der Jodenbuurt, dem jüdischen Viertel von Amsterdam. Die Joodenburt war bis zum 2. Weltkrieg ein Stadtviertel in der Amsterdamer Innenstadt. Zu dem Viertel gehörten unter anderem die Jodenbreestraat, die Insel Uilenbrug und der Waterloopein.

Wir verbrachten sechs Tage in der Stadt. Am dritten Tag haben wir uns dazu entschieden, das Quartier etwas zu entdecken und eine der ältesten Synagogen Eurpoas zu besuchen. Von unserem Hotel aus waren es gute fünf Minuten, bis wir die Jodenbuurt erreichten. Das Viertel war gut besucht und die Menschen standen mit ihren Kameras um den Hals gebunden an den Strassenrändern. Als Fussgänger hatten wir es in Amsterdam nämlich gar nicht so einfach. Fahrrad- und E-Bike-Fahrer*innen haben hier ganz klar das Sagen und sie liessen es uns auch spüren. Die Strasse dann endlich überquert, erreichten wir den Anfang des Quartiers.

Ich wusste nicht viel über die jüdische Geschichte in Amsterdam, daher haben wir uns entscheiden, zuerst einen Spaziergang durch die Strassen zu machen. Am Anfang des Viertels, auf der rechten Seite, erkennt man einen grossen Davidstern: Dahinter versteckt sich das Jüdische Museum Amsterdams. Die Strasse zieht sich weiter bis hin zu den Kanälen. Wo einmal Angst und Schrecken herrschten, spielt sich heute eine träumerische Grossstadt-Szene ab. Die Leute haben ihre Balkone mit Pflanzen geschmückt und kleine Tische platziert, um bei schönem Wetter die Sonne zu geniessen. Vor der Türe stand ein Mann in Holzschuhen und wischte das Laub von seiner Treppe. Von der schweren Vergangenheit, die dieser Ort trägt, ist kaum noch etwas zu spüren. 

Auf der gegenüberliegenden Seite sieht man ein grosses, von aussen sehr unscheinbares Gebäude. Darin befindet sich die portugiesische Syngaoge. Nach unserem Spaziergang und einem Mittagessen auf dem Marktplatz vor dem Viertel haben wir beschlossen, die Synagoge von innen anzuschauen. Ein Besuch kostet 17 Euro mit Audioguide. Bevor wir eintreten konnten, mussten wir durch eine kurzen Sicherheitskontrolle, die für mich nicht überraschend kam, da ich das schon aus der Synagoge in Bern kannte. Es macht mich jedesmal traurig, müssen sich die jüdischen Menschen und Institutionen bis heute noch schützen und misstrauisch bleiben. Der Raum war sehr gross und erstaunlich hell. Später erfuhr ich durch einen Mitarbeiter, dass die Synagoge seit ihrer Einweihung kein elektrisches Licht und keine Heizung hat. Sie wird nur durch die 72 Fenster und das künstliche Licht von 1‘000 Kerzen in ihren Messingleuchtern erhellt. Der Sand am Boden, den ich beim Laufen gespürt habe und der mich beinahe zum Ausrutschen brachte, schützt den Boden vor Schmutz und Wachs.

Durch den Audioguide lernte ich, dass die Syangoge 1675, im „Goldenen Zeitalter Amsterdams“ errichtet wurde. Sie wird immer noch als Gotteshaus genutzt, ist aber auch für die Öffentlichkeit zugänglich und darin werden regelmässig Konzerte veranstaltet. Mitten im Raum steht ein hölzernes Viereck mit einem teppichüberzogenen Tisch. Auf dieser kleinen Bühne findet die Thoralesung statt. Ich wusste, dass bei Gottesdiensten Frauen und Männer getrennt sitzen und fragte mich, wie das hier wohl geregelt ist. Ein kurzen Blick nach oben beantwortete mir diese Frage: In der oberen Hälfte des Raumes befindet sich ein blauer Balkon. Dahinter sieht man Sitzbänke, die von den jüdischen Frauen zu benutzen sind.

Zu den weiteren Gebäuden des Komplexes gehört die Schatzkammer, in denen Zeremonie-Gegenstände aus Silber, Gold, Seide und Brokat ausgestellt sind. Durch die Schatzkammer sind wir aber nur schnell durchgelaufen, da mich das zweite Gebäude, die älteste funktionierende jüdische Bibliothek der Welt, mehr interessierte – und unsere Reservierung für das Abendessen schon bald anstand. Die „Ets Haim Bibliothek“ hat zwei Stockwerke, die durch eine hölzerne Wendeltreppe miteinander verbunden sind. Die Wände sind in einem dunklen grün gestrichen und überall hängen Kronleuchter. An jeder Wand hat es Regale, die von unten bis oben gefüllt sind mit Handschriften und gedruckten Werken, von denen die Hälfte in hebräischer Schrift geschrieben sind. 

Nach einem kurzen Rundgang durch die eindrückliche Bücherei mussten wir dann auch schon wieder los in Richtung Restaurant. 

Das Judentum hat mich schon immer interessiert. Ich kannte es jedoch immer nur aus dem Geschichts- oder Religionsunterricht und nie wirklich durch eigene Eindrücke. Der Besuch in dem jüdischen Viertel hat mir dies ermöglicht. Oftmals, wenn man an das Judentum denkt oder mit Leuten darüber spricht, sieht man nur das eine: Den Holocaust. Natürlich ist das Schicksal des jüdischen Volkes im 2. Weltkrieg ein wichtiger Teil ihrer Geschichte, den man nie vergessen sollte. Doch das Judentum besteht aus so viel mehr als nur seiner tragischen Vergangenheit. 

Die Jodenbuurt und die Synagoge sind Sinnbild für die spannenden, schönen und erwähnenswerten Teilen der jüdischen Religion. Ich spürte sehr den Stolz der Menschen, jüdisch zu sein, vor allem in der Bibliothek, in der jedes Werk mit viel Sorgfalt gepflegt und präsentiert wird. Geschichte weiterzugeben und Menschen anderer Religionen daran teilhaben zu lassen, ist eines der Hauptmotive dieses Quartiers und der Synagoge. Ich finde es immer wieder spannend, in neue Religionen und Kulturen einzutauchen, verschiedene Traditionen und Bräuche selbst zu entdecken und erfahren. Nach dem Tag haben meine Mutter und ich noch spannende Diskussionen über das Judentum und Religionen im Allgemeinen geführt. Solche Momente und Gespräche schätze ich sehr. Sie sind jeweils am umfassendsten und am interessantesten, wenn man eigene Eindrücke und Gefühle einbringen kann. Dies ermöglicht mir, Dinge aus einer neuen Perspektive zu betrachten. 

Das Jüdische Viertel ist sehr empfehlenswert zu besuchen und hat mir das Judentum auf eine neue Art und Weise nähergebracht, die ich nicht durch Bücher oder Texte erreicht hätte. 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.