Meine zweite Heimat

Bild: Tanaya Suprapto

und warum ich mir dann doch einen Badeanzug kaufte 

Von Tanaya Suprapto

Die Eltern meiner Mutter leben in der Schweiz. Mein Grossvater sogar im selben Dorf wie wir, meine Grossmutter und ihr Mann ein bisschen weiter weg. Die Eltern meines Vaters leben noch weiter weg. Sie leben in Jakarta, der Hauptstadt Indonesiens, ca. 17 Flugstunden von der Schweiz entfernt. Sie leben im bevölkerungsreichsten muslimischen Land der Welt.

In meinem Bericht möchte ich gerne davon erzählen: Von kleinen Begebenheiten und Beobachtungen in oder im Zusammenhang mit Indonesien. Dies probiere ich möglichst objektiv zu tun, damit Sie sich selbst eine Meinung dazu bilden können.
In meiner danach folgenden Reflexion finden Sie dann meine Meinungen und Gedankengänge dazu.

Der Bikini

Bevor ich und meine Familie im letzten Herbst nach Indonesien geflogen sind, musste ich einen Badeanzug kaufen. Die Bikinis, die meine Schwestern und ich im Sommer für in die Aare getragen hatten, konnten wir nicht nach Indonesien mitnehmen.
In Indonesien schwimmen Frauen und Mädchen in Badeanzügen, die Bauch, Arme und teilweise auch die Beine bedecken. Männer tragen ebenfalls oft ein Shirt. Hin und wieder sahen wir auch Leute, die in ihren Kleidern badeten.

Die Taxifahrt

Während wir uns bei unseren Pausen auf der Fahrt von Solo nach Jepara kurz die Beine vertraten, verrichtete unser Fahrer die Mittagsgebete. Dafür suchte er jeweils eine Musholla auf. Mushollas sind in Indonesien bei jeder Tankstelle, in Shopping-Malls, an den Flughäfen und in Restaurants zu finden. Auch in Schulen und Bürogebäuden gibt es spezielle Gebetsräume. Die Mushollas und Gebetsräume sind jeweils nach Mekka ausgerichtet.

Die Schinkenpizza

Als meine Grosseltern uns vor etwa 10 Jahren in der Schweiz besuchten, gingen wir Pizza essen. Ich war damals ungefähr sechs und am liebsten mochte ich Pizza mit Schinken und schwarzen Oliven. Normalerweise hätte ich das bestellen dürfen, doch an diesem Tag sagte meine Mutter, dass ich das heute nicht bestellen könne. Aufgrund ihres Glaubens essen meine Grosseltern nämlich kein Schweinefleisch. Obwohl meine Familie Schweinefleisch isst, würden wir das meinen Grosseltern niemals sagen und schon gar nicht vor ihnen tun.

Yangkung

Eigentlich heisst mein Grossvater Martosuhardjo. Wir nennen ihn Yangkung. Yangkung spricht kein Arabisch, aber den Koran kann er lesen und verstehen. Der Koran ist die Heilige Schrift des Islams. Yangkung betet fünfmal am Tag und handelt nach den Vorschriften des Korans.
Er ist sehr offen und tolerant gegenüber verschiedensten Lebensformen, was wohl damit zu tun hat, dass er viel gereist ist und in verschiedenen Ländern gelebt und gearbeitet hat.
Freitags geht Yangkung in die Moschee, er macht Ramadan und hilft den Menschen in seinem Wohnquartier mit Spenden. Er hat ausserdem die Pilgerfahrt nach Mekka gemacht. 

Reflexion 

Als wir letzten Herbst nach langer Zeit wieder einmal in Indonesien waren, habe ich gemerkt, wie anders das Leben dort ist. Ich wollte gerne darüber erzählen, da es für mich sehr persönliche und vielleicht auch nicht so leicht nachvollziehbare Ereignisse und Beobachtungen sind. 

Ich wollte meinen Bikini nach Indonesien mitnehmen. Ich hatte ihn den ganzen Sommer getragen und hatte irgendwie wenig Verständnis dafür, weshalb ich ihn nicht mitnehmen kann. Auch bei den Kleidern, die ich einpacken wollte, gab es ein paar Sachen, bei denen meine Eltern fanden, dass ich sie nicht mitnehmen sollte. Nicht weil sie Angst hatten, dass mir etwas passieren könnte, sondern weil es sich dort einfach nicht gehört.
Anfangs ist es mir schwergefallen das zu verstehen, weil ich finde, jeder/jede sollte tragen, was er oder sie will. Aber ich habe mich damit abgefunden und mir vorgenommen, mich anzupassen. Und schliesslich konnte ich ja auch im Badeanzug gut schwimmen.

An die Mushollas in Indonesien konnte ich mich auch noch vor unserer Reise gut erinnern. Besonders an die am Flughafen, vor denen dann immer ganz viele Schuhe und Flipflops stehen.
Es gibt einige Dinge in Inneneinrichtungen, die es in der Schweiz selten oder gar nicht gibt, zum Beispiel die Wasserbrause neben der Toilette. Damit soll man sich reinigen. Ich persönlich finde diese Erfindung sehr praktisch, denn man verbraucht kein oder wenig Toilettenpapier und in einem so warmen Land wie Indonesien ist es nebenbei auch noch erfrischend.

An den Schinkenpizzavorfall kann ich mich noch ziemlich gut erinnern. Für mich war es so selbstverständlich und ich habe auch nicht daran gedacht, dass meine Grosseltern kein Schweinefleisch essen. Als meine Mutter mir es dann erklärt hat, habe ich es verstanden. Eigentlich dürfte mein Vater ja auch kein Schweinefleisch essen. Dass er das tut, verschweigt er seinen Eltern, denn besonders meine Grossmutter fände es gar nicht in Ordnung.

Meinen Grossvater würde ich als sehr weltoffen und mit der Zeit gehend beschreiben. Besonders im Hinblick auf den Islam und wie er ihn praktiziert.
Denn interessant ist nämlich, dass sich mein Grossvater erst nach seiner Pensionierung dem Islam widmete. Er fing erst an sich damit auseinanderzusetzen, als er wirklich Zeit dafür hatte.
Seine Art sich mit Religion zu befassen finde ich sehr bemerkenswert, weil er nicht einfach alles so hinnimmt und auch mache Dinge kritisch beäugt. Ich bewundere sehr, wie er seinen Glauben lebt. Auf mich wirkt die Art sehr anständig und gut überlegt. 

Indonesien ist für mich auch ein Teil Heimat. Da es so weit weg ist und ich nicht jeden Tag damit konfrontiert bin, ist es aber auch manchmal befremdlich. Ich bin stark an die Werte und Lebensweisen in der Schweiz gewöhnt und befinde mich auch in einem sehr liberalen und offenen Umfeld. Das finde ich sehr schön und trotzdem merke ich manchmal, wie schwer es mir dann zum Teil fällt, wenn ein Umfeld ein bisschen konservativer ist und andere Lebensweisen hat.
Ich sehe es aber auch immer als Chance an. Als Chance meinen Horizont zu erweitern und mich auch an Dinge zu gewöhnen oder eben auf Dinge zu verzichten.

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