Ein Ort zum Verweilen?
Von Tanaya Suprapto
Ich war noch nicht oft in einer Kirche, ich weiss, wie sie aussieht, wie ich mich benehmen soll. Mit meiner Familie bin ich in einer Kirche zu besonderen Anlässen; Hochzeit, Beerdigung, Konfirmation. Mir wäre es nicht im Traum in den Sinn gekommen, einfach so in eine Kirche zu gehen, schon gar nicht allein.
Es ist ein sonniger Tag mit warmer Brise, als ich am Freitagmittag mit dem Tram zur Station Zytglogge fahre. Mein Ziel: Das Berner Münster. In meinen Ohren stecken meine Kabelkopfhörer, in der Umhängetasche befinden sich Stifte und ein Notizblock.
Beim Münster angekommen sehe ich Tourist*innen, die davor posieren oder sich auf einen der roten Stühle auf dem Platz gesetzt haben. Ich steuere auf den Eingang zu und stosse die schwere Tür auf.
Nun stehe ich im „Shop“ und sehe verschiedenste Souvenirs, Angebote für einen Audio-Guide für 5 Franken und eine Preisliste für auf den Münsterturm. Diese schaue ich mir nicht so genau an, denn wegen meiner Höhenangst getraue ich mich da nicht rauf.
Eine weitere Tür führt in die Kirche hinein. Drinnen hat es nur wenige Personen, ein paar bestaunen das beeindruckende Dachgewölbe, also lege auch ich kurz meinen Kopf in den Nacken. Danach sticht mir eine moderne Orgel ins Auge, ich schaue mich um und suche die grosse Kirchenorgel. Später sehe ich sogar noch eine Dritte. Ich laufe durch die Reihen nach vorne, auf den Bänken befinden sich Kissen.
Links vorne in einem Seitenflügel hat es Gedenktafeln und Teelichter, die man anzünden kann. Die Musik aus meinen Kopfhörern ist schön leise und ich bemerke, wie still es in der Kirche ist. Ich schaue mir die Kirchenfenster an und höre eine Gruppe von Frauen, die dasselbe tun und sich flüsternd darüber austauschen.
Plötzlich klingelt das Telefon einer Frau, sie geht ran, flüstert dem Anrufer etwas ins Mikrofon und legt dann schnell wieder auf. Ich setze meinen Rundgang fort, betrachte die schönen Verschnörkelungen überall. Auf Plakaten lese ich etwas über die Geschichte und Entstehung des Münsters.
In der ersten Reihe auf den Bänken sitzt ein Pärchen, ich tue es ihnen gleich und ziehe einen Stift und den Notizblock aus meiner Tasche. Ich schreibe mir alle Beobachtungen und Gefühle auf. Schon wieder klingelt ein Handy, ich bemerke, dass es meins ist. Eine Freundin ruft mich an und während ich ihr schnell eine Antwort auf ihre Frage gebe, ernte ich böse Blicke von einer Frau, die unweit von mir entfernt steht.
Ich stecke mein Smartphone zurück in meine Tasche und stehe auf. Meine Uhr zeigt mir, dass ich bereits seit einer halben Stunde in der Kirche bin.
Bevor ich zum Ausgang laufe, gehe ich nochmals zum linken Seitenflügel, um ein Teelicht anzuzünden. Daneben auf einem anderen Tisch hat es eine Art Gästebuch, in welches schon viel reingekritzelt und geschrieben wurde.
Mittlerweile hat es mehr Leute im Münster, manche sehen sich die Architektur an, andere sitzen auf den Bänken und tun einfach nichts. Durch den „Shop“ gelange ich nach draussen, eine nette Freu hält mir die Tür auf. Ich bedanke mich und trete ins Freie. Ich höre das Geräusch des Verkehrs und Leute, die schwatzen. Um in der mittlerweile grellen Sonne etwas zu sehen, kneife ich leicht die Augen zusammen, werfe noch einen Blick auf die Münsterplattform und laufe dann Richtung Tram.
Den Besuch ins Münster habe ich gemacht, um ein bisschen aus meiner Komfortzone herauszukommen. Ich wollte keine Messe besuchen oder sonst einen speziellen Anlass beobachten, ich wollte mir ganz allein eine Kirche in aller Ruhe anschauen.
Anfangs war ich sehr nervös und rief meine Mutter an, um zu fragen, ob das nicht komisch sei, dass ich an einem ganz normalen Freitagmittag eine Kirche besuchen gehe. Sie hat mich zum Glück ermuntert und sobald ich in der Kirche war, fand ich alles sehr spannend.
Besonders beeindruckt war ich von der Architektur. Und die Stille, die herrschte, fand ich schön angenehm und nicht etwa unheimlich, wie ich zuvor befürchtet hatte. In der Kirche war es kühler als draussen und es roch ein bisschen nach kaltem Stein.
Die Musik, die ich durch meine Kopfhörer hörte, nahm ich nach einer Weile gar nicht mehr wahr. Ich hatte mir extra die Kabelkopfhörer von einer Freundin ausgeliehen, sodass ich trotz der Musik auch hörend auf Sachen achten konnte.
In der Kirche habe ich das Zeitgefühl komplett verloren. Während ich mir die verschiedenen Plakate und Beschriftungen anschaute, versank ich ein wenig in Gedanken. Dass dies passieren würde, hatte ich mir vor dem Besuch erhofft. Ich habe mich wohl gefühlt, und dass ich mir alles so in Ruhe anschauen konnte, ohne mich beobachtet zu fühlen, fand ich ein schönes Gefühl.
Darauf ein Teelicht anzuzünden hatte ich mich schon am Anfang gefreut, für mich war das ein krönender Abschluss.
Ich werde so etwas bestimmt wieder tun. Es war ein wirklich spannendes und schönes Erlebnis, allein so eine grosse Kirche zu besuchen. Ich war ruhig und konnte meine Gedanken richtig abschalten. Ich finde es schön und wichtig, sich ab und zu Zeit zu nehmen und abzuschalten. Ich denke, es gibt viele Wege dies zu tun; sei es ein Buch zu lesen, einen Kaffee zu geniessen oder eben sich eine Kirche anzuschauen. Dass Letzteres so gut für mich geklappt hat, war unerwartet, eine neue Erfahrung und die Überwindung, die es mich anfänglich gekostet hat, wert.