Jüdisches Museum Frankfurt

Bild: Eva Kröcher, wikimedia commons

von Charlotte Günther

Bericht

Als ich in den Ferien mit einer guten Freundin einige Tage in Frankfurt verbrachte, beschlossen wir, gemeinsam mit einer Freundin aus Frankfurt das Jüdische Museum zu besuchen. Es besteht aus zwei Teilen: Das Museum Judengasse, welche das erste Ghetto für Jüd*innen in Europa war, und das Jüdische Museum selbst. Wir haben nur das Jüdische Museum besucht.

Bereits beim Eingang merkten wir, dass dies kein normales Museum ist – aus einem ziemlich traurigen Grund: Aufgrund der Angst vor antisemitischen Angriffen und Anschlägen wurden unsere Taschen kontrolliert und meine Freundin musste ihr Sackmesser abgeben. Nachdem wir durch die Metalldetektoren gelaufen waren, kauften wir uns Tickets für die Dauer- und die Sonderausstellung. 

Der unterste Stock, in dem wir unseren Rundgang (versehentlich rückwärts) starteten, war der Familie Frank aus Frankfurt gewidmet. Nebst Stammbäumen, Briefen und Bildern waren auch Rezepte aus der Familie Frank zu finden. Immer wieder gab es auch auditive Beiträge, bei denen entweder jemand über die Familie Frank sprach, oder aber Originalaufnahmen in Bezug zum Leben der Franks zu hören waren. In fast jedem Raum gab es zudem Beiträge, die man mit einem am Eingang erhaltenen Pass einscannen konnte. Diese konnte man nach dem Museumsbesuch auch online abrufen.

Im zweiten Stock wurden weitere jüdische Familien Frankfurts vorgestellt. Einerseits die wirtschaftlich und politisch ehemals sehr einflussreiche Familie Rothschild, in deren Haus (oder sogar Palast) das Jüdische Museum untergebracht ist. Ich fand es sehr spannend, über die Frauen dieser Bankiersfamilie zu erfahren, und dass sie in ihrem Rahmen teilweise auch viel Macht und Verantwortung hatten. Ebenfalls interessant ist, dass diese erfolgreiche jüdische Familie gerade im Bankgeschäft tätig war, da dies auch ein häufiges Klischee ist. – In der Ausstellung wurde auch darauf eingegangen, dass viele Juden im Geschäft mit Geld tätig waren, da sie aus anderen Metiers verdrängt oder ihnen diese verboten wurden. Eine weitere Familie, die vorgestellt wurde, war die des Valentin Senger, der Kommunist war. Mithilfe eines Schattenspieles wurden auch mehrere jüdische Symbole gezeigt und erklärt, wie diese im Zusammenhang zu den verschiedenen Familien und deren Traditionen standen.

Der Dritte Stock behandelte jüdische Rituale, Traditionen und Gegenstände. Dort begegneten mir einige Traditionen, die ich bereits kannte wie der Schabbat oder Bar/t-Mitzwah, ich begegnete jedoch auch einigen für mich neuen Praxen und Gegenständen. So lernte ich die Challa kennen (und nahm digital ein Rezept mit) und hörte zum ersten Mal, dass es auch in Synagogen Kirchen gibt. Im Allgemeinen wurde auf diesem Stock viel über Reformen und verschiedene Strömungen innerhalb des Judentums erzählt. In einem Raum wurde den Besuchenden folgende Frage gestellt: «Was ist Ihnen heilig?». Zum beantworten dieser Frage konnte man sich ein Schildchen mit einer Aufschrift wie «Frieden» oder «Familie» nehmen und ein Bild damit machen. An einer Wand wurden dann die Antworten gesammelt.

Im obersten Stock (und dem eigentlich ersten Teil der Ausstellung) wurde das Judentum, so wie es in der Gegenwart und insbesondere in Frankfurt praktiziert wird, aber auch die Zeit des Nationalsozialismus beleuchtet. Der Kontrast der Themen kann in folgendem Beispiel anschaulich gezeigt werden: Einige Kinder, die eine jüdische Schule in Frankfurt besuchen, geben per Video Statements zu ihrem Bezug zur Religion und zu ihrem Alltag ab, während im nächsten Raum Bilder eines Ghettos in Frankfurt gezeigt werden.

Unserer Frankfurter Freundin ging dies sehr nah, und auch ich fühlte mich beklommen. Dies wurde noch verstärkt, als wir die Sonderausstellung zum Thema Jüd*innen nach dem Krieg ansahen. Dort wurde zum Beispiel eine Grafik gezeigt, bei der mit Lichtpunkten gezeigt wurde, wo auf der Welt wie viele Jüd*innen im Laufe des letzten Jahrhunderts lebten. Viele der Punkte erloschen währen der 40er Jahre einfach. Der Museumsbesuch hat uns zum Nachdenken angeregt und uns das Judentum nähergebracht. Es war ein sehr interessantes und berührendes Erlebnis.

Reflexion

Das Judentum kannte ich bis zum Museumsbesuch eher aus einer «theoretischen» Sicht. Das bedeutet, dass ich mehr über die Texte oder «Geschichten» aus der Torah und die Geschichten Israels wusste, als über religiöse Praxen oder das Judentum, wie es heute gelebt wird. Der Holocaust ist natürlich ein wichtiger Teil der jüdischen Geschichte, über den ich auch viel weiss, oder zumindest mehr, als über andere Themen, wie oben bereits erwähnt.

Obwohl im jüdischen Museum viel über den Holocaust und die Diskriminierung von Jüd*innen im Laufe der Geschichte berichtet wurde, war da also auch noch der für mich neuere Teil. Meine zwei Freundinnen und ich fanden es sehr interessant aber auch etwas schockierend, dass wir von einigen offensichtlich wichtigen jüdischen Personen in der Geschichte nichts wussten. Die Frankfurter Freundin hatte noch nie von den Rothschilds gehört, obwohl diese ein wichtiger Teil Frankfurter Stadtgeschichte waren.

Im Stockwerk, in dem Rituale und wichtige Gegenstände des Judentums vorgestellt wurden, bekam ich den Eindruck, dass besonders in strengreligiösen Kreisen das Einhalten von Regeln und vorgegebene Rituale eine sehr wichtige Bedeutung hat. Dies steht meiner Meinung nach etwas im Kontrast zu anderen Religionen, die ich kenne, wo das Nachfragen und Infragestellen einen grossen Teil der Religionspraxis darstellt.

Ich habe mir aber überlegt, dass dieses Einhalten der Regeln nebst dem religiösen noch einen ganz anderen Sinn hat: Historisch wurden Jüd*innen oft verfolgt, weggetrieben oder von der Gesellschaft ausgegrenzt. Heute, wo an den meisten Orten der Welt ein «normales» Leben unter allen anderen möglich ist, versucht das Judentum (oder zumindest Teile davon), seine Identität zu bewahren oder sich zumindest zum Teil von anderen Gruppen abzugrenzen. Die Rituale und Praxen, welche schon seit Jahrhunderten von Jüd*innen durchgeführt wurden, helfen dabei, sich von anderen abzugrenzen oder vielmehr, sich eine Identität zu schaffen, und diese zu bewahren – besonders, wenn man in der «Unterzahl» ist.

Mir waren die Gemeinsamkeiten zwischen Christentum und Judentum beinahe präsenter, als die Unterschiede der beiden Religionen. Im Jüdischen Museum habe ich gelernt (oder meine ich gelernt zu haben), was das Judentum ausmacht und von anderen Religionen unterscheidet. Angesichts der Erinnerung an die Zeit des Holocaust (besonders auch bei der Sonderausstellung), entstanden zwischen uns dreien Diskussionen zu Antisemitismus in der heutigen Politik und das Vergessen, Verdrängen oder aktive Verleugnen der Geschehnisse während der NS-Zeit. Wir fanden es schwer, zu akzeptieren, dass die Problematik des Antisemitismus immer weniger ernstgenommen wird und sich gerade auch in Deutschland, wo das Thema ja am besten hätte aufgearbeitet werden sollen, immer mehr rechtspopulistische Gruppierungen bilden, die Teils starke Ähnlichkeiten mit den Denkweisen und «Verhaltensmustern» der Nazis haben.

Nach der Ausstellung habe ich gemerkt, dass ich ein falsches Bild des Judentums hatte, dass ich Jüd*innen oft nur als orthodoxe wahrgenommen habe – da die anderen meist ja nicht vom Rest der Bevölkerung zu unterscheiden sind. Wohl auch aus diesem Grund hatte ich das Judentum oft als eine eher konservative Religion wahrgenommen, unter anderem auch wegen der Geschlechterrollen. Mit diesem Klischee aufgeräumt habe ich unter anderem durch Videoaufnahmen verschiedener Rabbiner und einer Rabbinerin, die Fragen beantworten. Natürlich kamen mir einige Antworten konservativ vor, andere fand ich hingegen überraschend liberal, was einmal mehr beweist, dass man vieles in der Welt mit seiner Komplexität und Vielfältigkeit wahrnehmen muss, um es zu verstehen.

In den beiden Texten dieses Dokuments habe ich versucht, auch über die Inhalte der Religion zu schreiben, und nicht nur über den Holocaust. Doch nicht nur mir ist es mir schwergefallen, das Judentum zumindest teils vom Holocaust zu trennen, auch im Museum waren sehr viele «Referenzen» zu sehen. Dies hat mich zu der Erkenntnis geführt, dass dieses schreckliche Ereignis ein grosser Teil der jüdischen Identität geworden ist. Natürlich geht es beim Judentum nicht immer um die NS-Zeit, aber das Judentum ohne den Holocaust sehen zu wollen, geht auch nicht und ist auch nicht unbedingt richtig/wünschenswert.

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