Seder Masochism

Bild: Nina Paley

von Johanna Lena Bär

Der Film

Am Sederabend wird traditionellerweise die Geschichte Moses und des Auszugs der Israeliten aus Ägypten erzählt. So auch im Film „Seder Masochism“. Was den Film aber speziell macht, sind die Geschichten, die auch noch erzählt werden.

Der Film besteht aus vier Erzählsträngen, die sich durch den Film hindurch abwechseln. Es wird die Geschichte der Urgöttin erzählt, der Mutter des Universums, oder eine Unterhaltung zwischen Nina Paley, der Autorin, und ihrem Vater Hiram Paley, Nina in der Form einer Opferziege und ihr Vater als Gott. In einigen Szenen erklärt Jesus den Ablauf des Sederabends und als vierter Strang wird eben die Exodus-Geschichte erzählt. Schon dieser Beschreibung kann entnommen werden, dass es sich nicht um einen typischen „Dokumentarfilm“ handelt. Er ist animiert, die Stile wechseln mit dem Erzählstrang.

„Seder-Masochism resurrects the Great Mother in a tragic struggle against the forces of Patriarchy.“ schreibt Nina Paley in der Videobeschreibung. Entstanden ist der Film aus einem Kommentar zu ihrem vorherigen Film „Sita sings the blues“. Nina Paley sagt in einem Interview dazu: „I would get hate mail where people said ‚how would you like it if people made a film about your religion?‘ Though they always assumed I was Christian, the fact is, I would have enjoyed it very much!“ So entstand Seder Masochism, ein Film über ihre eigene Religion, das Judentum.

Obwohl sie sich selbst als Atheistin sieht (und auch ihr Vater Atheist ist), ist das Judentum ein Teil ihrer Geschichte. Zu Hause feierte die Familie immer das Pessach Fest, um den Kindern einen Teil der Kultur mitzugeben. Vielleicht ist auch das mitunter ein Grund, dass sie sich für die Exodus Erzählung entschieden hat.

Der Film fängt damit an, dass eine weibliche Figur das Universum erschafft. Diese „Urgöttin“ kreiert Tiere, Pflanzen und schlussendlich auch Menschen. Oder treffender, Männer. Die Göttin wird eins mit der Natur und verwandelt sich in einen Baum, den die von ihr erschaffenen Menschen fällen. Dann wechselt das Bild, der Schriftzug „Seder Masochism“ erscheint und die Erzählung wechselt zu Moses.

Der ganze Film ist geprägt von skurrilem Humor und einer kritischen Einstellung gegenüber Religion und ihren Patriarchen. Der Humor zeigt sich zum Beispiel in der Wahl des „Soundtracks“, die Kritik im Einsatzort der Musik. Gerade die Exoduserzählung beinhaltet viele Klassiker, z. B. „I will survive“ von Gloria Gaynor oder „Go down Moses“ von Louis Armstrong. Die Musik illustriert die Geschehnisse auf dem Bildschirm auf eine sehr wortwörtliche Art und Weise, die zehn Plagen sind unterlegt mit Songs wie „Blood Red River Blues“ (Josh White), „Frogs“ (DJ Zeph feat. Azeem) oder „Dead Animals“ (Mental Decay). 

Einer der eindrücklichsten Momente des Filmes ist die letzte Musical-Nummer, „This Land is Mine“ von Andy Williams. Nina Paley hinterlegt eine Szene, die den Kampf um das verheissenen Land illustriert. Diese zeigt, wie die verschiedenen Parteien sich im Laufe der Zeit gegenseitig vertreiben, erst mit dem Schwert oder Pfeil und Bogen, dann mit Gewehren, dann Raketen und schliesslich Nuklearwaffen. Immer die Partei, die in diesem Moment die Oberhand hat, singt den Soundtrack mit. Das letzte Wort hat der Todesengel, das Land ist seins, ringsherum explodieren Atombomben.

Rezension

Seder Masochism ist meiner Meinung nach ein sehr guter Film, der verschiedene Aspekte des Judentums und Religion allgemein unter einen Hut bringt. Frauen waren, neben vielen anderen Menschen, schon immer Opfer des Patriarchats und da macht auch Religion keine Ausnahme. Nina Paley hat einen tollen Animationsstil und ihre Filme sind extrem gut.

Trotzdem finde ich es schwierig, ihre Filme zu schauen. Ich schaue sie hauptsächlich deswegen noch, weil sie keinen Profit aus ihren Filmen schlägt, sonst fände ich es schwierig, sie als Person zu unterstützen. Denn so viel sie zu feministischen Themen zu sagen hat, so sehr geht die Intersektionalität des Feminismus bei ihr verloren. Sie ist „gender critical“, eine Bewegung im radikalen Feminismus und ein Synonym für die TERF (trans-exclusionary radical feminist) Bewegung. In einem Interview sagt Nina Paley, das biologische Geschlecht sei ein Fakt. So weit, so gut. Dann bringt sie diese Aussage in Verbindung damit, dass eine Person sich zwar als das identifizieren könne, was diese wolle, aber deren Geschlecht ein Fakt bleibe und sie z.B. für eine Transfrau immer noch er/ihm Pronomen benutzen würde. Es sei wie bei Religion, jemand darf diese zwar ausüben, aber bitte nicht sie dazu bringen, dies auch zu tun. Dass jemand, der sich so mit Machtstrukturen auseinandersetzt, diese dann selbst anwendet, hat mich durchaus erstaunt. Diesen Aspekt über Nina Paley einzubringen ist mir vor allem deshalb wichtig, weil es eine gewisse Doppelmoral zum Ausdruck bringt: Sie beschäftigt sich so sehr mit der Ausgrenzung, der Unterdrückung und dem Unverständnis gegenüber Frauen und thematisiert das Problem in ihren Animationen, gleichzeitig bringt sie aber ein ähnliches Verhalten anderen Menschen entgegen.

Einen tollen Aspekt ihrer politischen Meinung finde ich hingegen ihren Aktivismus im Copyright Bereich, oder in ihrem Fall jetzt mehr im Copyleft Bereich. Nina Paleys Filme sind alle gratis erhältlich (bzw. downloadbar) und sie teilt alle ihre Animationen unter einer Copyleft Lizenz. Für den Soundtrack von „Seder Masochism“ hat sie die Lieder gewählt, die für sie zum Film passen, ohne das Copyright zu beachten. Indem sie Kultur und Gesellschaft mit einem grossen Gehirn gleichsetzt, in dem alle Menschen verbunden sind, gibt sie in ihrem TedTalk dieses Beispiel: „Whenever we censor our expression we close a little more, and information flows a little less. The less information flows, the more it stagnates. Evolution, progress and innovation stall. And this is what we call permission culture. When you shut down neurons to prevent them from transmitting signals, we call that brain damage. Copyright is brain damage.“

Nina Paleys Copyright Abolition hat sich auf jeden Fall bewährt, der Soundtrack zu Seder Masochism hat mich immer wieder erstaunt, geschockt und zum Lachen gebracht. Der ganze Film ist ihr sehr gelungen. 

Quellen

Boyce, Benjamin A: „Transphobia“ and Censorship. with Nina Paley (Video), https://www.youtube.com/watch?v=A3ys_aMXbW8 (10.05.2022)

Croll, Ben: Art. Annecy. „Seder Masochism“ Director Nina Paley: „I have no idea how this movie will go into the world“, https://variety.com/2018/film/festivals/annecy-seder-masochism-nina-paley-1202839427/ (10.05.2022)

Paley, Nina: Seder Masochism (Animationsfilm), https://vimeo.com/263398514, (10.05.2022)

TEDx Talks: Copyright is Brain Damage. Nina Paley (Video), https://www.youtube.com/watch?v=XO9FKQAxWZc (10.05.2022)

Wikipedia: Art. Feminist views on transgender topics, Gender critical feminism/trans exclusionary radical feminism, https://en.wikipedia.org/wiki/Feminist_views_on_transgender_topics#Gender_critical_feminism/trans-exclusionary_radical_feminism (10.05.2022)

Wikipedia: Art. Nina Paley, https://en.wikipedia.org/wiki/Nina_Paley (10.05.2022)

Wikipedia: Art. Seder Masochism, https://en.wikipedia.org/wiki/Seder-Masochism (10.05.2022)

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