90 Minuten spirituelle Verbindung

Bild: Jeanne Schmid und Valentina Ernst

Meine Elf zählt auf mich, hochkochende Emotionen, die mich ins hier und jetzt wickeln, eine Leidenschaft, die Höhen und Tiefen durchläuft und ein Zustand, den ich nie wieder missen will. Ich zeige euch, wo mein Traum begann und bringe euch meine Leidenschaft näher. Das ist mein heiliger Ort, der Fussballplatz.

VON JEANNE SCHMID UND VALENTINA ERNST

Mein Name ist Benjamin Kabeya, ich bin 18 Jahre alt und ich spiele zur Zeit beim BSC YB in der U21 und gehöre momentan ebenfalls zum Kader der Schweizer Nationalmannschaft U19. Meine Mutter ist Schweizerin, mein Vater kommt aus der Demokratischen Republik Kongo. Obwohl diese zwei Kulturen sehr unterschiedlich sind, sagen mir beide zu und ich fühle mich in beiden sehr wohl. Was mich auszeichnet, ist meine Offenheit und fast bedingungslose Positivität. Alles, was mich glücklich macht, versuche ich mit Leuten zu teilen, die mir viel bedeuten. Die Dankbarkeit für all das, was ich habe und was ich bis jetzt erleben durfte, versuche ich auch immer nach aussen zu tragen.

Da mein Vater im Kongo sehr katholisch aufwuchs, gehört Glaube in seinen Alltag. Durch ihn bekam der Glauben auch in meinem Leben eine grosse Rolle. Er ging auch jeden Sonntag in die Kirche, bis es zu gewissen Spannungen kam in einer afrikanischen Kirche hier in Bern. Diese afrikanische Kirche ist sehr weit entfernt von dem, was man sich in der Schweiz unter einer Kirche vorstellt. Ich persönlich komme vor allem in Kirchen am meisten mit Glauben und Religion in Kontakt, aber das heisst für mich nicht, dass der Kontakt mit Gott ortsabhängig ist. Klar ist aber, dass in der Kirche die Stimmung anders oder besser ist, als allein bei mir zu Hause.

Ich selber wurde konfirmiert. Nicht weil man viel Geld und Geschenke kriegt, sondern weil ich diesen Schritt gehen und mir selber zeigen wollte, dass Gott einen Platz in meinem Leben hat und ich dazu stehen kann. Religion und Gott geben mir vor allem Kraft und Mut. Sei es in einer schwierigen Situation, in der ich nicht weiterweiss, oder wenn ich vor einem Spiel oder einer wichtigen Entscheidung noch einmal diese Sicherheit und Gewissheit brauche, dass ich das Richtige tue.

Heilige Orte habe ich bisher nicht so viele besucht. Natürlich hier und da mal eine Kirche oder Kathedrale. Das mag ich gerne, da mich die Stimmung an solchen Orten inspiriert. Und klar bin auch ich fasziniert davon, wie gigantisch und pompös schon so früh gebaut werden konnte. 

«Diese afrikanische Kirche ist sehr weit entfernt von dem, was man sich in der Schweiz unter einer Kirche vorstellt.»

Benjamin Kabeya

Mein Kindheitstraum geht in Erfüllung

Eine neue  Erfahrung, die ich gemacht habe, war, den Grossvater meines besten Freundes in einem Tempel in Thailand zu besuchen. Der Grossvater ist nämlich Mönch. Von diesen Erinnerungen schöpfe ich noch heute Freude.

Besondere Erlebnisse können für mich generell sehr vielfältig sein. Das können einerseits persönliche Dinge sein, die ich dann auch mit meiner Familie oder meinen Freunden teile, andererseits sind viele dieser Erlebnisse für mich mit dem Fussballspielen verbunden. Ich denke schon, dass dort sehr viele besondere Dinge geschehen sind, die ich nicht als selbstverständlich nehme. Klar denke ich auch daran, dass das nicht jeder erleben kann. Ein bisschen besonders fühle ich mich da manchmal schon. Die dort entsprungenen Emotionen, wenn meine Mannschaft und ich ein wichtiges Spiel gewinnen, begleiten mich durchs Leben und den Alltag. Klar ist, dass ich diese Erlebnisse mit einem besonderen Ort in Verbindung bringe, dem Fussballplatz halt.

Überall findet man heilige Orte, vom besonderen Zimmer in der Berghütte bis zum vergessenen Tempel im Urwald. Jede Person fühlt sich an ihrem heiligen Ort geborgen und zu Hause und findet dort ihre spirituelle Quelle. Für mich gibt es nicht zwingend nur einen heiligen Ort, es können mehrere und ganz unterschiedliche sein.

Es bedeutet einfach, dass ich mich an diesem Ort komplett gehen lassen kann und mich in Sicherheit begeben kann. Mal alle Fassaden fallen lassen und das Innerste, das nicht immer Platz hat, leben lassen. Dass ich den Fussballplatz als heilig bezeichne, mag für viele Leute wohl abstrakt klingen. Für mich ist es aber so. Ich verbringe so viel Zeit dort und fühle mich wohl. Wenn ich dort bin, bin ich nur dort, komplett befreit von all meinen Sorgen und Ängsten. Besonders in unserem Heimstadion, dem Wankdorf sind all diese Dinge erfüllt, es hängt schliesslich auch mit meinem Traum zusammen, dort eines Tages für die erste Mannschaft aufzulaufen. Diesen Traum hege ich eigentlich schon, seit ich denken kann. Die Faszination für den Profifussball hat mich mein ganzes Leben lang begleitet und wird es hoffentlich in Zukunft auf immer tun.

«Mal alle Fassaden fallen lassen und das Innerste, das nicht immer Platz hat, leben lassen.»

Benjamin Kabeya

Hier erwacht die Spiritualität in mir

Mit dem Fussballspielen verbinde ich extrem viele positive Emotionen und Erlebnisse. Dieses Hobby, oder besser gesagt: meine Leidenschaft, begleitet mich schon mein ganzes Leben lang und nimmt sicher einen grossen Teil in meinem Alltag ein. Den Fussballplatz nehme ich für mich schon länger als einen heiligen Ort wahr, da ich dort meine Energie herauslassen kann, wie auch Energie oder Lebenslust gewinnen kann. Die Glücksgefühle nach einem Training können mich sehr bestärken und halten meist den ganzen Tag an.

Bevor ich beim BSC YB zu spielen begann, bin ich beim SC Münchenbuchsee, meinem Stammverein gewesen. Manche würden diesen als einen «Dorfverein» bezeichnen. Der Fussballplatz Schönegg in Münchenbuchsee befindet sich mitten im Dorfkern und ist ein ganz normaler Rasenplatz, der für mich jedoch eine grosse Bedeutung hat. Auf der einen Seite des Platzes gibt es eine Betontribüne und auf der anderen Seite befindet sich eine kleine Wiese, auf der Schafe weiden können. Der Fussballplatz wird von zwei Schulhäusern umrandet. Dieser Schöneggplatz war für mich heilig, als ich dort gespielt habe. Nun hat das Wankdorf diesen abgelöst, auch wenn ich mit dem Fussballplatz in Münchenbuchsee immer noch ganz besondere Emotionen verbinde. Ich habe dort angefangen, Fussball zu spielen und meine grosse Leidenschaft dafür entdeckt.

 Das schönste Erlebnis, an das ich mich noch sehr gut erinnern kann, war das letzte Spiel, das ich beim SC Münchenbuchsee gespielt habe. Ich wusste, dass es für mich nach diesem Spiel zu einem neuen Verein gehen wird und freute mich sehr, dass ich meinem Traum, einmal beim BSC YB zu spielen, ein Stück näher kam. Es gab natürlich auch eine Schattenseite. Mein geliebtes Team, das vor allem aus meinen Kindheitsfreunden bestand, zu verlassen. Heute bin ich unendlich froh, dass ich diesen Schritt gegangen bin.

Ohne geht gar nicht mehr

Mein heiliger Ort, der Fussballplatz im Wankdorf, hat mit Religion wahrscheinlich nicht sehr viel zu tun. Ich sehe hier eher eine Art spirituelle Verbindung. Nach positiven Erlebnissen auf dem Rasen verspüre ich Glück und Freude. Da merke ich, dass ich das Richtige in meinem Leben tue. Für mich definiert sich dieser Ort auch als heilig, weil ich mich dort nicht «schlecht» verhalten möchte. Ich will den Ort und vor allem auch die Menschen, die mit mir dort sind, immer mit Respekt behandeln. Verantwortung zu übernehmen und Gerechtigkeit im Spiel sind für mich auch sehr wichtige Punkte.

«Ich sehe hier eher eine Art spirituelle Verbindung. Nach positiven Erlebnissen auf dem Rasen verspüre ich Glück und Freude. Da merke ich, dass ich das Richtige in meinem Leben tue.»

Benjamin Kabeya

Der Fussballplatz spielt in meinem Leben eine wichtige Rolle und ich habe das Gefühl, dass es jeden Menschen bereichert, eine Art heiligen Ort zu haben. So hat man eine Möglichkeit, dem Alltag, den dazugehörigen Ängsten und dem Stress für einen Moment zu entkommen. An solch einen Ort kann man sich zurückziehen und die negativen Gefühle hinter sich lassen. An einem heiligen Ort sollte dieses geborgene Gefühl aufkommen, das man nie wieder missen möchte.

4 Antworten

  1. Sarah sagt:

    Liebe Jeanne, liebe Valentina,

    Sehr tolles Porträt! Ich habe offensichtlich erwartet, dass es um Fussball geht, aber es deckt noch sehr viele andere Aspekte ab und ist sehr vielfältig. Mir hat es besonders gefallen, dass man auch die Emotionen, die die porträtierte Person beschreibt, sehr gut nachempfinden kann. Man kann die Leidenschaft förmlich spüren.
    Folgende Fragen habe ich mir noch überlegt: Ist der Ort, also der Fussballplatz, an sich heilig, durch die Erinnerungen oder vielmehr erst im Moment, in dem man dann auf dem Rasen steht und spielt? Und was ist der „Traum-heilige-Ort“ des Protagonisten, welches Stadion wird in der Karriere noch angestrebt?

    Liebe Grüsse und weiterhin alles Gute!
    Sarah

  2. Hannah sagt:

    Liebe Valentina und liebe Jeanne
    Euer Porträt ist echt super! Das Titelbild finde ich passend und vermittelt auch die Match- Stimmung an den YB- Spielen. Der Schreibstil ist sehr gut und ich finde es schön, wie er aus allen Teilen seines Lebens erzählt. Ich hätte da noch folgende zwei Fragen:
    Wieso hat er angefangen Fussball zu spielen? Und welche Position er auf dem Feld hat?
    Ich hoffe euch geht es gut!
    Liebe Grüsse
    Hannah

  3. Elia sagt:

    Liebe Valentina, Liebe Jeanne
    Wenn ich an religiöse Fussballer denke, schwirren mir sofort Bilder von betenden Spielern vor Matchbeginn oder Bilder von Spielern, die sich nach einem Tor bei Gott bedanken, in den Kopf. Ab und zu rege ich mich dann darüber auf, da ich nicht glaube, dass Gott allein für dieses Tor verantwortlich war. Deshalb zeigt mir euer Porträt eine andere, aber sehr spannende Seite. Ich finde es passend, wie ihr Benjamins Erklärung über seine Verbindung zwischen Religion, Spiritualität und Fussball rüber bringt. Folgende Fragen hat sich bei mir noch ergeben: Was sieht Benjamin für eine Chance, dass er seinen Traum realisieren kann und eines Tages in der ersten Mannschaft des BSC YB aufzulaufen? Hilf ihm sein Glaube bei seinem Willen, sich stets zu verbessern?
    Liebe Grüsse
    Elia

  4. Rahel Breu sagt:

    Liebe Valentina, Liebe Jeanne
    Ich finde euer Portrait sehr inspirierend. Der Text ist gut strukturiert und hat einen roten Faden 🙂 Von Anfang an habt ihr mein Interesse gewekct dieses Portrait über Beni zu lesen. Ich konnte mir dank eueren guten Beschreibungen von Benis Gefühlen, Emotionen, ein sehr gutes Bild von ihm machen. Zudem ist euer Text sprachlichsehr gut geschrieben und flüssig zum Lesen. Ich findes es schön, wie Beni beschreibt, dass er sein heiliger Ort an sich und auch die Mitmenschen mit Respekt behandelt. Die Frage kam auf welche Unterschiede es von der afrikanischen Kirche, welche sein Vater besuchte, zu den Kirchen in der Schweiz gibt? Hatte er vor dem Schöneggplatz auch schon einen anderen heiligen Ort? Schön erklärt er wie es für ihn überall heilige Orte gibt. Später im Text beschriebt er genau diese Spontantität von heiligen Orten zuerst der Fussballplatz Schönegg und dann das Wankdorf.
    Hebts guet u aues guete!!
    Rahel

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