Die heilende Kraft der Natur

Bild: Alisha Hörr und Michelle Berger

Ich suche regelmässige meinen heiligen Ort in der Natur auf. Der Ort ist nicht im herkömmlichen beziehungsweise religiösem Sinne heilig, sondern hat auf mich persönlich eine heilende Wirkung. Dort führe ich unter anderem schamanische Rituale durch, die mir Kraft und ein Gefühl der Zugehörigkeit und des Willkommenseins geben.

VON ALISHA HÖRR UND MICHELLE BERGER

Mein Name ist Monica Weber und ich bin mit meinen 54 Jahren eine Person mit viel Lebenserfahrung. Ich habe Interesse an anderen Menschen, der Welt und ich bin offen für Neues. In meinen Leben hatte ich schon mit den verschiedensten Religionen zu tun und habe auch schon viele heilige Orte besichtigt. Ich wurde katholisch erzogen und ging als Kind gerne in die Kirche, solange wir noch Unterricht bei einer Frau hatten und Geschichten aus der Bibel erzählt wurden. Als ich dann aber bei einem Pfarrer die kirchliche Unterweisung besuchte, realisierte ich, wie wenig Platz Frauen in der katholischen Kirche haben. Das war einer der Hauptgründe dafür, dass ich später aus der Kirche austrat.

Heute spielt Religion im engeren Sinne keine grosse Rolle mehr in meinem Leben. Mit 25 habe ich einen Juden aus Israel geheiratet, dessen Familie wollte, dass ich zum Judentum konvertiere. Für mich fühlen sich Religionen einengend an und ich wollte mich nicht in solch ein strenges Schema zwängen lassen. Wir liessen uns scheiden.

Krieg um heilige Orte

Durch meinen Ex-Mann habe ich einige Zeit in Israel verbracht, in Jerusalem. Diese Stadt ist ein religiöses Zentrum, da dort drei Weltreligionen zusammentreffen. Wir haben natürlich die Klagemauer, Grabstätten und die al-Aqsa-Moschee besucht. Für viele Menschen sind diese Orte sehr heilig, aber ich verspürte dort nur Kummer. Ich habe deutlich erlebt, wie die Gläubigen der drei verschiedenen Religionen wegen des Streits um diese bedeutenden heiligen Orte keinen Frieden finden können. Dass solche Orte, die eigentlich Frieden bringen sollten, solche Konflikte auslösen, machte mich sehr traurig.

Auch der Besuch anderer heiliger Stätten löste bei mir keine speziellen Gefühle aus. An keinen «offiziellen» religiösen Orten, wie Kirchen und Moscheen, bin ich in Kontakt mit etwas Aussergewöhnlichem gekommen.

Kraftorte in der Natur

Heilige Orte sind für mich Kraftorte in der Natur. Es ist mir wichtig, dass ein Kraftort vom Menschen noch möglichst unberührt ist. Ich denke, jeder Platz in der Natur kann zu einem heiligen Ort werden, wenn man sich dort selbst Raum schafft, die Umwelt achtet und wahrnimmt welche Wunder die Welt zu bieten hat. 

«Nur in der Natur habe ich wirklich das Gefühl, dass ich mit göttlichen Kräften – oder wie man es nennen will – in Kontakt komme».

Monica Weber

«Die Natur weist mir den Weg»

Für mich ist die ganze Äugster Alp im Gantrischgebiet ein Kraftort. Die Alp ist eine sehr vielfältige Gegend. Es gibt dort nicht nur dichten und lichten Wald, sondern auch offene Wiesen und felsige Abhänge, grosse Steinbrocken und sogar einen Wasserfall. Je nach Bedürfnis suche ich mir einen anderen heiligen Platz. Es gibt weiche Moosflächen in der Sonne oder im Schatten, auf denen ich mich hinlegen kann. In selbstgelegten Steinkreisen und der Schwitzhütte, führe ich gerne Rituale durch. Allein durch meine Einstellung kann ich einen Platz für mich heilig machen, so ist es möglich, sich überall auf der Welt einen heiligen Ort erschaffen.

Jeden Sommer gehe ich für eine Woche auf die Äugster Alp, wo mein heiliger Ort liegt. Ausserdem besuche ich die Alp mehrmals im Jahr übers Wochenende. Die Fahrzeit mit dem Auto von meinem Wohnort in der Stadt Bern bis zur Alp beträgt eine knappe Stunde. Meistens bleibe ich mehrere Tage dort. Es gibt eine kleine Alphütte ohne Elektrizität oder fliessendes Wasser, in der ich übernachte. Manchmal verbringe ich meine Nächte aber auch im Wald.

Bild: Alisha Hörr und Michelle Berger

«Um spirituelle Momente zu erleben, brauche ich Ruhe, Einsamkeit und die Natur, um mich mit mir selbst auseinanderzusetzen und mich mit meinen Fragen und Problemen beschäftigen zu können. Durch die Natur, oder von der Natur, bekomme ich dann auch die Antworten.»

Monica Weber

Ich mache ganz viel Verschiedenes an meinen Kraftplätzen. Ich schlafe, meditiere und singe. Gelegentlich spiele ich auch Geige und früher rauchte ich dort auch Zigaretten. Inzwischen bin ich Nichtraucherin. Ich führe zudem die verschiedensten schamanischen beziehungsweise indianischen Rituale durch, wie Steinkreise legen oder Mantras singen. An meinem heiligen Ort würde ich nichts tun, was ich nicht auch sonst tun würde. Ich habe dort zum Beispiel auch schon geflucht. Der Unterschied zu meinem üblichen Verhalten ist nur, dass ich mich mehr auf mich selbst und meine Bedürfnisse fokussiere.

Der heilige Ort in mir

Jedes Mal, wenn ich auf die Alp zurückkehre, fühlt es sich an, als würde ich nach Hause kommen. Ich freue mich immer, meine Alp besuchen zu können. Wenn ich ganz alleine im Wald bin und dort einige Zeit verbringe, erfahre ich ein Gefühl der Zugehörigkeit. Ich fühle mich als Teil eines grossen Ganzen, ohne dabei etwas Besonderes zu sein. Dort empfinde ich Geborgenheit und habe das Gefühl, willkommen und aufgenommen zu sein. Die Plätze auf der Alp haben eine heilende Wirkung auf mich.

«An meinem Kraftort kann ich einfach ich sein. Ich will mich nicht einschränken lassen. Ich muss nichts leisten oder darstellen, ich fühle mich so akzeptiert, wie ich bin. Das ist eines der wunderschönen Gefühle, die ich auf dieser Alp empfinde.»

Monica Weber

Obwohl ich regelmässig an meinen heiligen Ort gehe, hilft es mir vor allem in Krisenzeiten. In diesen Momenten der Verzweiflung suche ich dort eine Art von Antwort oder Hilfe. Auf der Alp kann ich zur Ruhe kommen und mich erholen. Mein heiliger Ort hilft mir die nötige Kraft zu erhalten, weshalb ich ihn auch Kraftort nenne. Ich kann Kontakt mit speziellen Kräften aufnehmen und erfahre Heiligkeit. Mein Kraftort ermöglicht mir eine Verbindung zu mir selbst, zur Welt und zu meiner Lebensaufgabe zu finden.

Bild: Alisha Hörr und Michelle Berger

Mit Ahnenritualen kann ich Kontakt mit der Vergangenheit und Wesen aus anderen Dimensionen aufnehmen, um mit meiner eigenen Vergangenheit Frieden schliessen zu können. Durch die richtige Haltung kann man überall einen heiligen Ort erschaffen. Wenn man solche spirituellen Ereignisse an einem heiligen Ort schon einmal erlebt hat, können einem die Erinnerungen daran helfen in sich selbst einen heiligen Ort zu finden.

Wenn man seinen heiligen Ort also nicht in der Aussenwelt finden kann, ist es auch möglich ihn in sich selbst zu erkennen.

4 Antworten

  1. Selma Irmer sagt:

    Liebe Alisha, liebe Michelle

    Schon nur durch die Betrachtung eurer Fotos wurde mir klar, dass der heilige Ort eurer Interviewpartnerin sehr naturverbunden sein wird. Ich fand insbesondere das Titelbild sehr schön, da es diese Ruhe, die ein Wald ausstrahlt, gut einfängt. Ich war dann bei der Lektüre sehr überrascht zu erfahren, dass der Wald für eure Interviewpartnerin eine tiefere Verbindung zu einer religiösen Strömung herstellt. Besonders schön fand ich die Bezeichnung des heiligen Ortes als Kraftort, da es meiner Meinung nach die Bedeutung, die heilige Orte für viele Menschen haben, sehr gut beschreibt. Ich habe mich noch gefragt, wie eure Interviewpartnerin auf diesen Schamanenkult gestossen ist und wie genau so ein Ahnenritual abläuft. Ich kann mir dies nämlich nicht so gut vorstellen. Zudem habe ich mich gefragt, wie viele Menschen in der Schweiz diese indianischen Riten ausüben.
    Euer Porträt ist sehr gut gelungen und ich fand es sehr spannend, da ich von indianischen Ritualen bisher nur sehr wenig wusste.

    Liebe Grüsse, Selma

  2. joy Messerli sagt:

    liebe Alisha, liebe Michelle
    Ich genoss es sehr euer Portät zu lesen. Fèr mich ist dieser heilge Ort eine sehr spezielle Mischung zwischen einemspirituellen und geografischen heiligen Ort. Ihre Interview-Parterin wirkt wie eine sehr spannende person, mit welcher man noch viel länger sprechen könnte. Die Bilder unterstreichen die Verbindung zur Natur sehr stark. Dies vertärkt ja eben die Verbindung zum Walde und zu diesem heiligen Ort. Ich wollte noch nachfragen, woher eure Partnerin denn all diese Rituale und diesen Schamanenkult für sich entdeckt hat, und was für sie den grossen Unterschied zu der Religion ist? Denn für sie ist ja Religion eher einengend und einschränkend, was ist denn der grosse Unterschied für sie?
    Danke vielmals für das teilen dieses spannenden Portäts, blibet gsund und hebet sorg
    e liebe gruess, Joy

  3. Kirusigaa sagt:

    Liebe Alisha, Liebe Michelle
    Das Titelbild unterstreicht den Titel sehr gut, denn ich finde die Sonnenstrahlen verleihen dem Bild etwas „heiliges“. Es ist spannend zu lesen, dass sie innerhalb eines heiligen Ortes eigentlich mehrere heilige Orte hat. Denn sie sagt, dass sie je nach Bedürfnis sich an einer anderen Stelle auf der Alp aufhält. Sie erwähnt auch, dass Religionen sie einengen, da würde mich interessieren, wie sich diese Ahnenrituale zu christlichen oder jüdischen Ritualen unterscheiden? Ausserdem würde ich gern erfahren, ob sie nur alleine auf die Alp geht oder ab und zu ihre Familie oder ihre Freunde mitnimmt?

    Bleibt gesund!
    Liebe Grüsse
    Kirusigaa

  4. Hana sagt:

    Liebe Alisha, Liebe Michelle

    Monica Weber scheint mit vielen Religionen bereits in Berührung gekommen zu sein. Durch verschiedene Umstände und aussenstehenden Personen hat sie sich aber immer mehr davon distanziert. Dies zeigt meiner Meinung nach gut auf wie individuell das Thema Religion ist und wie äussere Faktoren die Erfahrungen positiv aber auch negativ beeinflussen können. Doch Monica scheint laut folgendem Zitat ihren Platz doch noch gefunden zu haben: „An meinem Kraftort kann ich einfach ich sein. Ich will mich nicht einschränken lassen. Ich muss nichts leisten oder darstellen, ich fühle mich so akzeptiert, wie ich bin. Das ist eines der wunderschönen Gefühle, die ich auf dieser Alp empfinde.“
    Mich würde es noch Wunder nehmen woher die Motivation/Inspiration des Schamanenkults kam, was diese Ahnenrituale beinhalten und wie sich der Kult mit monotheistischen Religionen unterscheiden?

    Spannendes Porträt!
    Liebe Grüsse
    Hana

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