Dort, wo es einfach immer schön ist

Bild: Rosalie König

Ich bin ein Stadtmädchen, das sich am wohlsten mit seinen Pferden fühlt. Fern von der Stadt befindet sich ein Ort, wo ich mich immer wohl fühle und den Stress und meine Probleme hinter mir lassen kann.

VON ROSALIE KÖNIG

Was mir lieb und wichtig ist

Ich bin selbstbewusst, selbstsicher, loyal und aufgestellt. Ausserdem umgebe ich mich stets mit stilvollen Dingen und besonders mit meinen zwei Pferden. Ich habe eigentlich alles, was eine gute Reiterin ausmacht. Mein Name ist Fanny und ich wohne in der Stadt Bern. Ich reite, seitdem ich denken kann.

In meinem Leben spielt Religion keine grosse Rolle. Ich habe den KUW-Unterricht besucht und mich konfirmieren lassen, trotzdem würde ich mich nicht als gläubig bezeichnen. Ich glaube schon an eine höhere Macht, kann diese aber nicht einer Religion zuordnen. Eine Situation, in welcher ich mich trotzdem gläubig fühle, ist an Beerdigungen. Da man sich aufmerksam anhört, was der Pfarrer zu sagen hat, und man das Ritual mitmacht.

Der Reiterhof als heiliger Ort

Als meinen «heiligen» Ort würde ich den Hubel, den Hof, wo meine Pferde leben, bezeichnen. Ich besuche den Hubel seit ich fünf Jahre alt bin und gehe dort in die Reitstunde. Ich bin da sozusagen mit aufgewachsen und kenne auch die ganze Familie, die auf dem Hof lebt. Mit dem Hubel verbinde ich viele schöne Momente in meinem Leben.

Der Reiterhof liegt auf einem Hügel in Worb. Wenn man mit dem Auto die Strasse entlangfährt, sieht man als Erstes das Bauernhaus, in dem die Besitzer leben. Vor diesem Haus steht eine lange Bank. Bei schönem Wetter sitze ich dort gerne vor oder nach meinem Training. Gleich daneben befindet sich der Aufenthaltsraum mit Kühlschrank und Kaffeemaschine. Dieser Raum ist der einzige, der geheizt wird. Vom Bauernhaus führt eine kleine Allee zum Viereck, dem grossen Sandplatz. Dort habe ich auch meistens Training.

Den schönsten Ort finde ich aber den Springplatz, der sich vis-à-vis von den Boxen meiner Pferde Aladin und Amicelli befindet. Um den Hof herum befinden sich die Weiden. Am liebsten halte ich mich zwischen den Stallungen und dem Springplatz auf.

Ich würde den Hubel nicht wirklich als meinen heiligen Ort bezeichnen, da der Hubel ja ein Stall ist. Für mich ist mein heiliger Ort dort, wo meine Pferde sind. Es geht nicht um den Ort selbst, sondern um die Pferde und die Menschen auf dem Hubel. Der Ort selbst ist eher nebensächlich. Ich weiss zum Beispiel nicht, ob ich mich dort so wohl fühlen würde, wenn die Besitzer wechseln würden.

Von der Reitstunde zur zweiten Heimat

Als ich angefangen habe zu reiten, ging ich einmal pro Woche in die Reitstunde. Für mich war das immer das Highlight der Woche. Bei der Hinfahrt hatte ich immer ein Kribbeln im Bauch. Für mich ist Reiten eine der einzigen Sachen, woran ich Spass habe und worin ich wirklich gut bin. Es ist etwas, was ich einfach machen kann. Ich hatte beispielsweise in der Schule nie ein Fach, in dem ich richtig gut war. Reiten ist etwas, wofür ich eine grosse Leidenschaft und Talent habe. 

Noch toller wurde es für mich, als meine Mutter und ich unser erstes eigenes Pferd Aladin kauften. Damals war das der Traum von jedem Mädchen meiner Klasse und für mich ging er in Erfüllung. Das war ein Moment in meinem Leben, den ich nie vergessen werde und der auch ganz besonders für mich ist. 

«Ich habe mit Aladin einen neuen besten Freund dazugewonnen.»

Fanny

Ein weiterer sehr spezieller Moment war für mich, als das Fohlen von unserem damaligen Pferd Honesta auf die Welt kam. All diese Ereignisse haben sich auf dem Hubel abgespielt und darum hat dieser Ort auch einen hohen Stellenwert in meinem Leben.

Das Besondere am Hubel

Für mich ist besonders, dass ich es dort immer schön finde. Selbst bei starker Kälte, bei Regen oder Wind ist es mir noch nie in den Sinn gekommen, einfach wieder zu gehen. Ich fühle mich dort immer extrem wohl, selbst wenn schlimme Dinge passieren. Zum Beispiel als mein Pferd Aladin stürzte und mit den Knien aufschlug. Bei solchen Ereignissen bin ich lieber auf dem Hof, da ich mich dort gut aufgehoben fühle und der Ort dadurch nicht schlecht wird.

Ich bin auf dem Hubel meistens glücklich, aber auch stolz und ehrgeizig. Ich strebe beim Training und bei Turnieren immer das Beste in mir an. Wenn ich dann von einem Turnier zurück auf den Hof komme und es den Menschen dort erzählen kann, macht mich das stolz. Ich teile mich den Menschen auf dem Hubel gerne mit, da sie wie eine zweite Familie für mich sind.

Abwechslung zur Stadt

Ich gehe meistens zu meinen Pferden, wenn ich Training habe oder wenn ich das Bedürfnis spüre, sie zu sehen. Ich besuche sie aber auch, wenn ich genug vom Stadtleben habe. Oft gehe ich nach dem Ausgang: Wenn ich auf dem Hubel bin, ist der Kater wie weggeblasen. Ich fühle mich gut, da ich Sport mache und an der frischen Luft bin. Auch wenn ich Stress habe, kann ich diesen hinter mir lassen. Es ist ein bisschen wie eine andere Welt. Es ist ein Ort, wo ich mich auf das Reiten und auf mich konzentriere. «Schlechte» Dinge, wie Alkohol trinken oder rauchen, mache ich dort nicht. Es ist ein Ort der fresh und clean bleiben soll. Ausserdem bin ich auch nicht so oft am Handy, weil ich mich lieber mit den Pferden beschäftige und in der Natur bin. Ich will dann nicht den Kontakt mit dem Stadtleben haben.

«Ich bin zwar meistens ein Stadtkind, aber dort bin ich ein Landei.»

Fanny

Man könnte meine Bezeichnung «heiliger Ort» für den Hubel so verstehen, dass er einen hohen Stellenwert in meinem Leben hat und ich darauf achte, was ich dort mache und was nicht. Früher wollte ich nicht, dass meine Freundinnen zu oft mitkommen, weil ich diesen Ort gerne von meinem Leben in der Stadt trenne. Es ist ein Ort, der mir gehört, etwas ganz Eigenes und Spezielles. Ich möchte den Hubel weiterhin als speziellen und unabhängigen Ort von meinem Stadtleben für mich alleine behalten.

Glücklich sein, ohne viel dafür zu machen

Der Hubel hat nicht wirklich etwas mit Religion zu tun. Mit Spiritualität vielleicht; dass ich dort für mich sein und einfach abschalten kann. Ich denke dort nicht mehr an Themen aus der Stadt oder an Probleme, die ich habe.

Allgemein denke ich, dass wir Menschen solche Orte brauchen, um einen Ausgleich zum stressigen Alltag zu schaffen. Dabei ist es wichtig, dass man einen Ort hat, wo man Probleme vergessen kann, denn dann geht es einem schon besser. Wenn man immer an dem Ort ist, wo man von Stress und Problemen umgeben ist, gehen sie einem nicht mehr aus dem Kopf. So finde ich, dass ein «heiliger Ort» wichtig ist, um all dem Belastenden zwischendurch zu entfliehen und damit man auch etwas Schönes haben kann. Wenn man einen solchen Ort wie ich hat, kann man glücklich sein, ohne viel dafür zu machen.

4 Antworten

  1. Hannah sagt:

    Liebe Rosalie
    Ich finde dein Portrait sehr gut. Während dem Lesen merkt man, wie wichtig der Ort für Fanny ist und was für eine Rolle ihre zwei Pferde in ihrem Leben spielen. Das Foto ist auch toll, da man die Pferde sieht und auch die Landschaft im Hintergrund betrachten kann.
    Meine Fragen an Fanny wären: Ob sie sich jemals vorstellen kann, als Stadtmädchen aufs Land zu ziehen? Und, War der Hubbel auch schon ihr heiliger Ort, bevor sie die Pferde hatten?

    Liebe Grüsse
    Hannah

  2. Alisha sagt:

    Liebe Rosalie

    Ich mag das Titelbild sehr. Es ist lustig und verdeutlicht den Lesern sofort, worum es in diesem Porträt gehen wird.
    Ich finde es beeindruckend, dass Fanny eine so klare Trennlinie zwischen ihrem Stadtleben und dem Hubel ziehen kann. Ich denke, viele Menschen schleppen ihre Probleme und Ängste 24/7 mit sich herum und können nicht abschalten. Dass Fanny sich bei ihren Pferden so stark davon distanzieren kann, ist bemerkenswert. Wenn man darüber nachdenkt, ist genau dieses Runterfahren können auch das, was einen herkömmlichen heiligen Ort ausmacht.
    Ich frage mich, ob sie sich vorstellen könnte, ganz aufs Land zu ziehen. Denn somit würde dieser Ausgleich wegfallen und ihre Sorgen würden sie bis an den heiligen Ort begleiten, der ja dann zu ihrem Wohnort werden würde.
    Fanny klingt sehr ehrgeizig und selbstbewusst. Es würde mich wunder nehmen, ob sie plant einen Beruf auszuüben, der mit Pferden zu tun hat. Und wenn nicht, in welcher Form sie das Reiten als Teil ihres Lebens beibehalten will.

    Liebe Grüsse
    Alisha

  3. joy Messerli sagt:

    Liebe Rosalie
    Danke vielmals für dein spannendes und aufschlussreiches Portät. Es wirkt sehr persönlich und man scheint Fanny durch die Lektüre hindurch zu spüren, ich las den text in ihrer Stimme. Es zeigt für mich eine Seite, die ich bisher nicht so kenne und das Portät fühlt sich sehr ehrlich, aufrichtig und intim an. Das Bild finde ich gut gewählt, denn es zeigt vieles aber eben nicht zu viel. Der Stall und der Hof wird toll beschriben und ich habe ein sehr reelles Bild vor Augen. Ein Portät von so einer jungen Person zu lesen und ihre Verbindung zu einem heiligen Ort, sowie Spiritualtät gefiel mir sehr gut. Ich bin gespannt, wie sich ihre Beziehung zu diesem heiligen Ort und allgemein zu Spiritualität und Religion eventuell ja noch wandeln wird. Ich wollte noch fragen ob sie denn nun mehr Freunde mitnimmt auf den Hof, und falls ja weshalb, also was sich verändert hat. Eine andere Frage wäre, ob sie denkt, dass der heilige ort auch etwas damit zu tun hat, dass sie ihn oft für eine kurze Zeit besucht, und dies es etwas Spezielles macht? Also, ob sie es sich vorstellen könnte für eine längere Zeit an ihrem heiligen Ort zu bleiben, zb. einige Wochen oder gar auf das Land zu ziehen. Falls ja, ob dies einen Einflusss hätte auf ihr Wohlsein an diesem heiligen Ort?
    Danke auf jeden Fall für das wunderbare Portät, alles Gute, heb sorg und einen Gruss an Fanny
    Joy

  4. Michelle Berger sagt:

    Liebe Rosalie

    Das Titelbild ist wirklich gut gelungen. Ich finde, es vermittelt genau dieselben Gefühle, wie auch der Text. Es vermittelt eine gewisse Ruhe und einen Frieden. Man sieht eindeutig, dass es auf dem Land ist, und man so dort weit weg vom eintönigen Stadtleben ist. Vor allem das Pferd, dass die Zunge rausstreckt, sieht sehr sympathisch aus ;))

    Ich finde, du hast sehr gut beschrieben, dass für deine Interview-Partnerin nicht nur der Ort heilig ist, sondern, dass es all die Erinnerungen, die Freunde, die Familie und die Pferde sind, die diesen Ort so besonders machen.

    Deine Interview-Partnerin hat den Hof als eine Art zweites Zuhause beschrieben. Ich würde gerne wissen, ob die Person, dort mehr macht, als zu reiten und sich um die Pferde zu kümmern. Ist sie befreundet mit den Leuten, denen der Hof gehört? Und hat sie auch Kontakt zu ihnen ausserhalb des Hofes?

    Wie ist deine Interview-Partnerin zum Reiten gekommen. Reitet ein Familienmitglied von ihr auch und wenn ja, reiten sie manchmal zusammen aus?

    Ganz liebe Grüsse und noch eine schöne Quarantäne
    Michelle Berger

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