Jeder Ort kann heilig werden

Bild: Zhiqing Marti und Sarah Schmid

Musik spielt in meinem Leben eine wichtige Rolle und deshalb ist mein Studio auch ein sehr wichtiger Ort für mich. Aber gerade heilig? Ob ein Ort heilig ist oder nicht, hängt für mich viel mehr vom Moment und vom Gefühl ab.

VON ZHIQING MARTI UND SARAH SCHMID

Ich bin Jan Mischler, 21 Jahre alt, und ich produziere unter meinem Künstlernamen «Equal» berndeutsche Rapsongs. Ich denke ich bin, wie jeder andere auf dieser Welt, einfach ein Wesen auf der Suche nach dem richtigen Weg. Religion war von klein auf ein Thema bei mir, meine Eltern haben mich eher religiös, also reformiert erzogen, aber irgendwann habe mich dagegen entschieden, weiter in die Kirche zu gehen. Jetzt stehe ich zwischen zwei Positionen, zum einen bin ich offen für einen Gottesbeweis, falls jemand einen finden sollte, aber ich respektiere genauso die Position des Atheismus, dass man also an keinen Gott glaubt. Ich möchte mich eigentlich nicht wirklich für eine der beiden Seiten entscheiden.

«Musik als meine Religion? Nein, das würde ich nicht behaupten. Musik ist nichts Religiöses, es ist nicht an eine Institution gebunden.»

Jan Mischler

Die Musik als meine Religion?

Musik hat schon immer eine wichtige Rolle in meinem Leben gespielt. Sie ist etwas Wichtiges für mich und bewirkt tiefgründig etwas. Ich würde jetzt aber nicht sagen, dass sie meine «Religion» wäre, obwohl es durchaus Menschen gibt, die dies von sich behaupten würden. Religion ist für mich das Institutionelle, die Musik würde ich von diesem Begriff lösen. Da Religion aber häufig auch das Spirituelle ist, denke ich, dass zumindest dieser Begriff vielleicht in Beziehung zu meiner Musik steht. Ich bin der Meinung, dass, wenn man einen Ort oder eine Tätigkeit gefunden hat, welche einem in der Selbstentwicklung und im Leben an sich hilft, dies durchaus eine spirituelle Wirkung haben kann.

Die Bezeichnung «heilig» steht für mich nicht im Vordergrund

Es wäre jetzt wahrscheinlich naheliegend, mein Musikstudio bei mir zuhause in Schwarzenburg als meinen «heiligen Ort» zu bezeichnen, da das ja das Thema ist. Aber auch hier würde ich das religiös behaftete «heilig» anders verwenden, weil heilige Orte für mich Kirchen oder sonstige religiöse Stätten wie die Klagemauer in Jerusalem oder die Stadt Mekka sind.

«Heilig» würde ich im Kontext von meinem persönlichen Ort eher als Synonym für «wichtig» oder «glücklich-machend» verwenden, denn das Wichtigste meines heiligen Ortes bleibt seine «Spiritualität» und nicht, wie ich ihn bezeichne. Anders gesagt, der «heilige» Ort definiert sich durch das Gefühl, das er auslöst. Das Gefühl von Sich-gehen-lassen-können hat einen sehr positiven Effekt, eben schon fast spirituell. Viele Orte, die man als heilig bezeichnet, sind ja auch Rückzugsorte vom Alltag, man findet in ihnen einen Ausgleich zum sonstigen Leben, und das kann nur gute Auswirkungen haben.

«Ob ein Ort heilig ist oder nicht, hängt nicht vom Ort ab, sondern vom Gefühl, das man in diesem Moment empfindet. Das Gefühl macht die ‹Heiligkeit›.»

Jan Mischler

Weil ich dieses «heilig» an das Gefühl hafte und nicht an den Ort selber, denke ich, dass eigentlich jeder Ort heilig werden kann. Es kommt wirklich auf den Moment an, wie ich mich gerade fühle und so, ob ein Ort heilig wird. Bezogen auf mein Studio trifft das manchmal zu, je nachdem, wie ich mich fühle, während ich Musik mache. Aber manchmal ist das Studio auch nicht mein heiliger Ort und einfach ein «normaler» Ort wie jeder andere.

Mein Studio, mein Reich

Mein Studio fühlt sich folglich nicht immer «heilig» an, dennoch ist dieser Ort sehr wichtig für mich, denn es ist schlussendlich der Ort, an dem ich mich meiner grossen Leidenschaft widme.

Das Studio hat zwei Bereiche: In einem Bereich arbeite ich Konzepte aus, bin kreativ und aktiv und im anderen Bereich, dem Herzstück, werden diese Konzepte dann schlussendlich umgesetzt. Die beiden Bereiche sind auch räumlich getrennt, so zwei, drei Meter liegen sie auseinander, und der zweite Bereich ist schon an sich wie ein eigener Raum. Diesen Raum kann man sich wie eine grosse Holzbox vorstellen, die innen mit Schallabsorbierungsplatten ausgefüllt ist. Wenn man diesen Raum betritt und aufnimmt, also Vocals einsingt und Ähnliches, dann fühlt man sich irgendwie auch wie an einem anderen Ort.

Ich habe mein Studio mit Materialen aus verschiedenen Quellen selber zusammengebaut. Ich denke, dadurch ist der Ort auch so wichtig; es steckt meine eigene Arbeit drin. Und jedes Mal, wenn ich aufnehme, kommt noch ein bisschen mehr von mir dazu. Er gewinnt also jedes Mal mehr an Bedeutung.

Was zudem meinen heiligen Ort von anderen heiligen Orten unterscheidet, ist vielleicht auch, dass ich die komplette «Macht» darüber habe. Ich kann über ihn walten, kann hingehen, wann und wie ich will. Nicht viele Menschen haben das Privileg, über ihren heiligen Ort zu bestimmen und entscheiden zu können, wann und wie sie hingehen wollen. In einem Park oder an jedem anderen öffentlichen Ort müsste man sich immer an gewisse Regeln halten und könnte so auch nicht frei über den Ort bestimmen. 

In guten wie auch in schlechten Zeiten

Wie gesagt, es kommt auf das Gefühl … – nein; es kommt darauf an, ob in dieser Situation das Studio für mich heilig ist oder nicht. Es gibt Momente, da kriegt man nichts hin und fühlt sich nicht inspiriert, und dann ist das Studio der falsche Ort für mich und somit nicht heilig. Aber wenn man sich «richtig» fühlt an dem Ort, dann ist da dieses Gefühl von Resonanz. Ein sehr wichtiges Gefühl, um einen Ort heilig zu machen, denke ich.

Ich kann an meinem heiligen Ort die verschiedensten Dinge tun, auch ganz alltägliche, die in keinem Zusammenhang mit dem eigentlichen Zweck des Ortes stehen. Das Studio ist verbunden mit meinem alltäglichen Leben, eine Art Rückzugsort, auf den ich zurückgreifen kann. Der Ort begleitet mich, genau wie die Musik, die dort entsteht, durch gute wie auch schlechte Zeiten, an ihm geschehen positive genauso wie negative Dinge. Vielleicht ist das ein weiteres Attribut für «heilig»? Der heilige Ort ist immer da für einen, begleitet durch die Höhen und Tiefen des Lebens und erhält dadurch seine Wichtigkeit, seine «Heiligkeit». In diesem Fall ist mein Studio sicher auch «heilig».

«Heilige Ort begleiten einem durchs Leben, sie sind sowohl in guten als auch in schlechten Zeiten für einen da.»

Jan Mischler

3 Antworten

  1. Lou sagt:

    Liebe Zhiqing und liebe Sarah
    Mir hat es sehr viel Spass gemacht euer Portrait zu lesen. Die portraitierte Person hat den Begriff „heilig“ für sich definiert. Dadurch wird sehr schön klar, was das Studio für ihn bedeutet. Ihr habt sehr klar geschrieben und die Struktur des Portraits ist gelungen. Mich würde interessieren, ob er alleine im Studio ist, wenn er die Musik aufnimmt? Und ob dieses wohlige Gefühl beim Schreiben oder beim Aufnehmen auftritt? Oder sogar beim ganzen Prozess?
    Liebe Grüsse und bis bald Lou

  2. Felizia Lienhard sagt:

    Liebe Zhiqing, liebe Sarah

    Ich fand euer Porträt sehr spannend! Schon alleine die Tatsache, dass die interviewte Person eigentlich doch religiös erzogen wurde und sich dann im Erwachsenenalter gegen regelmässige Kirchengänge entschieden hat, zeigt wie sich die Person mit Religion auseinandergesetzt hat und nun ihren eigenen Weg geht, was Glaube und Religion anbelangt. Ich finde auch genau diese Haltung wiederspiegeln seine Aussagen bezüglich seines heiligen Ortes. Er bindet das Wort „heilig“ nicht an einen Ort sondern an ein Gefühl, was ich sehr schön finde. Ich frage mich, wie lange er dieses Studio schon hat und wann er dort das erste Mal einen Moment verspürt hat, den er als heilig bezeichnen würde.

    Alles Liebe, Feli

  3. Mira sagt:

    Liebe Zhiqing und liebe Sarah
    Euer Porträt ist sehr gelungen! Es hat mir einen kurzen Einblick in eine Welt gegeben, die ich nicht kenne. Mir ist es so vorgekommen, als würde Jan während des Interviews für sich eine Definition eines heiligen Ortes suchen und finden, das fand ich sehr spannend.
    Als ich die Beschreibung des Studios gelesen habe, konnte ich es mir sehr gut vorstellen und war ein wenig selbst dort. Sehr spannend fand ich, dass er in einer religiösen Familie aufgewachsen ist, sich dann aber von der reformierten Kirche gelöst hat. Das zeigt für mich, dass er sich selbst auch mit dem Thema Religion auseinandergesetzt hat und einen eigenen Weg gefunden hat.
    Was mich noch interessieren würde ist, was für Musik er genau macht, was ihn dazu gebracht hat und ob es einen Auslöser dafür gibt, dass er manchmal nicht inspiriert ist.
    Liebe Grüsse und bleibt gesund
    Mira

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