Der Stein für Andere
Steine, Kristalle im Besonderen, haben seit jeher eine spezielle Bedeutung für Menschen. Kristalle gefallen durch ihre Formen und Farben. Katarina erzählt mir von ihrem Bergkristall, der als Glücksbringer eine heilvolle Wirkung hat.
von Jan Kindler
Ich klingle bei dem kleinen Bauernhaus mit der Nummer 30. Katarina öffnet mir die Tür und ich blicke in das Innere des Hauses. In der Mitte des Raumes steht ein massiver Holztisch. Das Alter ist ihm anzusehen, Einkerbungen und Narben schmücken ihn. Mein Blick fällt auf den Bergkristall, der auf dem Tisch steht und mit seiner Helligkeit den etwas düsteren Raum erleuchtet. Während Katarina mir ein Glas Wasser einschenkt, betrachte ich den Raum. Die Decke hängt tief. Ein warmes Lampen- und Kerzenlicht geben dem Wohnzimmer eine heimelige Atmosphäre. Immer wieder zieht der Bergkristall meine Aufmerksamkeit auf sich. Der Stein ist klar wie ein Bergsee und eine mystische Aura umgibt ihn. Wenn ich ihn betrachte, wie er vor sich hin strahlt, in diesem etwas düsteren Raum, kann ich mir vorstellen, wie sich der Strahler über den Fund dieses Kristalles freute.
«Manchmal sind es nur kleine Splitter, etwas Kleines, ein Moment, irgendetwas Schönes, vielleicht eine Stimmung oder ein gutes Gefühl. Ich denke, Glück setzt sich aus diesen kleinen Augenblicken und Gefühlen zusammen»
Katarina
Ein Glücksbringer für Andere
Mittlerweile habe ich mein Glas Wasser erhalten und unser Gespräch richtet sich auf den Bergkristall. Katarina erzählt mir von ihrem Glücksbringer. Wobei man sagen muss, dass das Wort «Glücksbringer» ihn nicht perfekt beschreibt. Er ist eher ein «Abwender» von schlechten Dingen. Wenn es jemandem schlecht geht, stellt Katarina den Kristall erst unter das kalte Wasser. Dieses Vorgehen reinigt den Kristall und gibt ihm die Kraft zurück. Anschliessend richtet Katarina den Stein so aus, dass seine Spitze in Richtung der Person zeigt. Er hat also nicht unbedingt eine vorbeugende Funktion, sondern hilft und bestärkt diejenigen, denen es nicht gut geht. Ich frage sie, was für sie Glück bedeutet und ob ihr Stein ein Glücksbringer ist. «Manchmal sind es nur kleine Splitter, etwas Kleines, ein Moment, irgendetwas Schönes, vielleicht eine Stimmung oder ein gutes Gefühl. Ich denke, Glück setzt sich aus diesen kleinen Augenblicken und Gefühlen zusammen». Sie fände, ihr Stein sei nicht ein klassischer Glücksbringer, man könne ihn aber durchaus als Glücksbringer bezeichnen, da er Schlechtes abwenden soll und ihren Liebsten Gutes zurückbringt.
«Vielleicht hat er auch seine Wirkung, weil dasjenige weiss, dass jemand an ihn denkt, an ihn glaubt und für ihn hofft, dass alles ‹gut kommt›»
Katarina
Katarina verwendet den Glücksbringer in verschiedenen Situationen: Wenn sie erfährt, dass jemand aus ihrem Umfeld krank ist oder ins Spital muss oder wenn ihr nahestehende Menschen eine schwierige Zeit erfahren müssen, kann der Kristall mit seiner Kraft helfen. Manchmal teilt sie den Personen mit, dass sie den Stein für sie ausrichten würde. Es gab Situationen, in denen die Personen meinten, dass der Stein ihnen geholfen hätte und sich entsprechend bei Katarina bedankten. Ich denke, dass das Ausrichten des Steins auch eine Art von Katarina ist, der Person zu zeigen, dass sie ihr beisteht und an sie denkt. Was mich besonders fasziniert ist, dass Katarina ihren Stein selten für sich braucht. Vielmehr ist er dazu da, anderen zu helfen. «Vielleicht hat er auch seine Wirkung, weil dasjenige weiss, dass jemand an ihn denkt, an ihn glaubt und für ihn hofft, dass alles ‹gut kommt›». Die Lösung einer Schwierigkeit fängt häufig im Kopf an. Man muss erkennen und sich eingestehen, dass man ein Problem hat. Erst dann kann man Lösungen suchen und finden. Katarinas Glückskristall soll helfen, Klarheit zu schaffen, damit man ein Problem erkennt und lösen kann. Der Bergkristall hat im Grunde zwei Wirkungen. Einerseits soll er Klarheit bringen und anderseits soll er helfen, wenn es einem schlecht geht, da man weiss, dass jemand an einem denkt.
Faszination Kristall
Katarina reicht mir eine Seite aus ihrem Steinbuch, die sie für mich ausgedruckt hat. Der Artikel beschäftigt sich mit der Faszination der Menschen gegenüber Steinen, und Kristallen im Besonderen. Die Kristallgestalt hat die Menschen seit jeher beeindruckt. In Sagen und Märchen wird von Steinen erzählt, die besondere Zauberkräfte haben sollen. Nicht zuletzt wegen ihren einzigartigen Farben und Formen wurden die Mineralien in vielen Völker an religiöse Vorstellungen geknüpft.
«Wenn ich mir vorstelle, dass ein Stein hunderte von Jahren in einem Berg entsteht und er dann von einem Strahler in dieser Form gefunden wird, muss dieser Stein eine besondere Kraft haben.»
Katarina
Katarina erzählt mir, dass sie seit jeher an Steinen interessiert ist. Jedoch haben die Bergkristalle eine besondere Bedeutung für sie. Ich frage sie, was sie am Bergkristall fasziniert. «Wenn ich mir vorstelle, dass ein Stein hunderte von Jahren in einem Berg entsteht und er dann von einem Strahler in dieser Form gefunden wird, muss dieser Stein eine besondere Kraft haben», antwortet sie mir. Auch dass Bergkristalle, im Gegensatz zu anderen Steinen, ungeschliffen so eine schöne Form haben, fände sie unglaublich. Die Gestalt ihres Glücksbringers hat eine zentrale Bedeutung für Katarina. Die Spitze sei nämlich der Ort, an welchem sich die Kraft des Kristalles sammelt. Darum richtet Katarina die Spitze des Steins so aus, dass sie in die Richtung zeigt, wo die Kraft des Steines helfen soll.
In Richtung Norden
Draussen ist es dunkler geworden und leise fällt der Schnee vom Himmel. Die tanzenden Schneeflocken passen gut zum Kristall, der noch mehr leuchtet, jetzt, wo der Abend langsam heranbricht. Unser Gespräch ist ruhiger geworden, nicht weil ich keine Fragen mehr an Katarina habe, sondern weil wir beide in Gedanken versunken sind. Ich ging mit der Intention zu Katarina, um mit ihr über ihren Glücksbringer zu sprechen. Mir wäre nie der Gedanke gekommen, dass sie den Glücksbringer nicht für sich selbst nutzen würde. Dass man einen Glücksbringer für andere Menschen einsetzt, ist für mich etwas Neues. Wie Katarina ihren Kristall einsetzt, ist eine andere Art, jemandem zu zeigen «ich denke an dich …». In diesem Moment blitzt der Kristall auf, fast so, als würde er meinen Gedanken zustimmen.
Langsam verabschiede ich mich von Katarina. Beim Verlassen des Hauses werfe ich einen kurzen Blick zurück. Der Kristall steht nicht mehr wie bis anhin auf dem Tisch. Er wurde etwas gedreht und zeigt nun in Richtung Norden. Wem er wohl gerade seine Kraft verleihen soll?
Sprachlich und inhaltlich sehr schöner Text! Wie auch dir war es mir neu, einen Glücksbringer so selbstlos wie Katarina einzusetzen. 🙂
Lieber Jan
Ich mag dein Portät sehr finde es sehr gut geschrieben. Ich finde sehr interessant,dass eine Person ihr Glücksbringer für jemand anderes braucht und nicht für sich selbst.