Nicht offensichtlich essenziell
Es gibt etwas, was keiner in meinem Umfeld von mir weiss, und doch trage ich es immer nahe bei mir. Ein Gedanke daran oder eine Berührung versetzt mich erneut mit Kraft und Glück. Aber es gibt mir auch Mut und beruhigt mich in Situationen der Nervosität.
Von Maryse Agbodjan-Prince
Ein wiederkehrendes Motiv – der Glücksbringer
Ich heisse Annick und bin 17 Jahre alt. Ich bin im dritten Jahr am Gymnasium in Bern. Mein Wunsch ist es, Notärztin zu werden, um Menschen helfen zu können. Im Grunde bin ich eine aufgestellte und doch ruhige Person, und sehr zielstrebig. In meiner Freizeit lese, zeichne und vor allem schwimme ich gerne. Bedeutend für mich ist, Zeit mit meiner Familie und meinen Freunden zu verbringen. Es gibt jedoch etwas, von dem meine Freunde und meine Familie über mich nicht in Kenntnis sind. Ich trage immer einen Glücksbringer bei mir.
Schon als Kind, wenn wir Prüfungen hatten, gab mir meine Mutter einen Zettel mit einer Notiz und einem Glückskäfer aus Schokolade darauf. Es war ein Ritual, was mir Kraft gab, aber es war auch eine Art von Glücksbringer, welcher vor allem vom Glückskäfer als Motiv verkörpert wurde. Diese Gewohnheit aus meiner Kindheit ist ein auschlaggebender Grund, weshalb ich auch heute einen Glücksbringer habe, welcher mich durch schwierige Momente und Zeiten begleitet.
«Ich dachte, ich werde ja nicht immer Schokolade mitnehmen können, auch weil ich den Glückskäfer ja esse und er dann weg ist. Sondern ich brauche etwas Festeres, einen Gegenstand, der konstanter ist.»
Annick
Lange Zeit habe ich dann meinen Geburtsstein als Glücksbringer gehabt, einen Rhyolith, auch Regenwaldjaspis genannt, welchen meine Mutter mir mal von einem Markt als Geschenk mitgebracht hat. Ich hatte auch noch andere Heilsteine, welche verschiedene Wirkungen hatten. So konnte ich auch mal wochenweise immer einen anderen Stein als Taschenbegleiter wählen. Je nachdem was für eine Wirkung ich brauchte oder auch einfach mal den, der mir in dem Moment am besten gefiel. Doch die Zeit zeigte, dass auch ein fester Gegenstand nicht konstant sein muss. Ich verlor meinen Glücksbringer, den Regenwaldjaspis. Ich denke, dass dieser Vorfall für mich das Ende der Heilsteine als Glücksbringer mit sich brachte.
Neuer Glücksbringer gefunden in Äkäslompolo
Für viele kann ein Glücksbringer nur ein bestimmter Gegenstand sein und nicht ersetzt werden, für mich ist es jedoch mehr ein Gefühl, welches ein Glücksbringer zu vermitteln in der Lage sein muss. Deshalb war trotz der grossen Enttäuschung über den Verlust auch klar: Ich brauche einen neuen Glücksbringer.
Vor zwei Jahren waren wir in den Sportferien in Äkäslompolo, das ist eine Stadt im hohen Norden von Finnland. Von diesem Urlaub habe ich einen für mich auch heute noch sehr wichtigen Gegenstand mitgenommen. Meinen neuen Glücksbringer kaufte ich mit zwei anderen Tieren an einem Markt. Es wurden verschiedene Holzschnitzereien verkauft, doch mein Glücksbringer fiel mir schon in dem Moment besonders auf.
«Es ist interessant: Ich habe mehrere Anhänger gekauft, jedoch habe ich in diese Schachtel geschaut und genau diesen Greifvogel als Erstes herausgenommen, seither ist er mein Glücksbringer oder vielmehr ein Gegenstand, den ich immer bei mir trage.»
Annick
Als wir von den Ferien zurückkamen, musste ich einen neuen Glücksbringer auswählen und am Tag, bevor die Schule anfing, fiel mir dieser besonders auf. Ich kann nicht sagen, weshalb mir der Greifvogel besonders ins Auge gestochen ist. Es war ein Bauchgefühl und nicht äusserliche Fakten, die mich überzeugten. Dieses Gefühl bewegte mich dazu, ihn dann in die Schule mitzunehmen. Ich bewahrte ihn in meiner Hosentasche auf, wie ich es heute noch immer mache. Auch in der Nacht ist der Glücksbringer nie weit von mir weg, sondern liegt stets greifbar auf meinem Nachttisch.
Der Greifvogel als Motiv
Mein Glücksbringer ist eine Holzschnitzerei in Form eines Greifvogels, welcher für mich Kraft und Macht verkörpert. Er hängt an einem roten Lederband mit einem Anhänger. Immer in meiner Nähe, gibt er mir Sicherheit. Je nachdem wofür ich ihn brauche, zeigt er auch er verschiedene Wirkungen. Wenn ich Glück brauche, ist er mein Glücksbringer und sonst ist es etwas, was mir Kraft gibt. Eine Art Kraftspender. In Momenten, in denen ich nervös bin, beruhigt er mich und bestimmt einen Moment, in dem ich runterfahren kann, es ist für mich ein Moment der Selbsteinkehr und Reflexion.
Mein Glücksbringer und Kraftspender
Es gibt Zeiten, in denen mir der Weg zu meinen Zielen schwierig fällt, dann gibt mir mein Glücksbringer Energie und Kraft. Durch Berührung oder allein schon dadurch, dass ich an ihn denke, überkommt mich ein Gefühl der Sicherheit. Vor Prüfungen oder bei Vorträgen zum Beispiel nimmt er mir meine Nervosität. Ich denke hauptsächlich ist der Schlüsselanhänger ein Gegenstand, aus dem ich Kraft schöpfen kann. Aber er kann mir auch Glück geben. Das ist für mich einerseits, wenn ich mich positiv, beziehungsweise gut fühle. Zum Beispiel wenn ich mit meiner Familie oder mit Freunden zusammen sein und die gemeinsame Zeit mit ihnen geniessen kann. Andererseits ist Glück für mich aber auch, wenn ich meine Ziele erfüllen kann. Das Glück, welches ich von meinem Anhänger bekomme, hat nichts mit einer höheren Macht zu tun, sondern ich würde so weit gehen und sagen, dass es ist eine Art Illusion ist.
«Ein Glücksbringer ist etwas, was sich in den Gedanken abspielt. Ich denke, es ist das, was man sich vorstellt; man definiert den Gegenstand als etwas und wenn man so stark daran glaubt, dann hat man das Gefühl, das er einem hilft.»
Annick
Deshalb ist ein Glücksbringer auch ein Gegenstand, der persönlich ist und nur für die Person wirkt, in deren Besitz er ist. Ich würde meinen Glücksbringer auch nicht ausleihen. Der Glücksbringer ist etwas, was ich mir eingeredet habe, daher gibt es Menschen, die nicht nachvollziehen können, welchen Wert er für mich hat.
Ich mache kein Geheimnis um den Glücksbringer, es ist jedoch auch kein Thema, welches ich von mir aus anspreche. Doch trotzdem ist der Glücksbringer ein wichtiges Element in meinem Leben und etwas, an dem ich immer festhalten werde.
Ich finde es sehr interessant, dass eine Person eine so enge Bindung zu einem Gegenstand aufbauen kann und dass es aber trotzdem kein Problem ist, ihn auszutauschen.
Ich finde es spannend, da das Porträt etwas geheimisvolles enthält. Es ist als ob der Glücksbringer für sie bestimmt wäre, da sie nicht erklären kann weshalb sie genau diesen ausgewählt hat. Du hast ihre Geschichte sehr gut mit der passenden Wortwahl beschrieben, was es nochmals besser überbringt.